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Polaris

Polaris

Titel: Polaris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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Teile trieben durch den Raum. Der Torso bewegte sich über das Deck, als wir eintraten. Zuerst erkannte ich gar nicht, was das war. Die Leiche war mumifiziert, und sie sah aus, als gehöre sie entweder zu einer Frau oder einem Kind. Während wir versuchten, das genauer zu bestimmen, entdeckte ich das Armband. Der Arm war das einzige noch am Torso befindliche Körperglied.
    Es war nicht zu sehen, solange man die Überreste nicht berührte. Fragen Sie mich nicht, warum ich das überhaupt getan habe. Es war nur so, dass die Leiche gar nicht hätte hier sein dürfen, und ich fragte mich, was hier wohl vorgefallen war.
    Und dann war da plötzlich das Armband. »Ich denke, sie wurde hier zurückgelassen«, sagte ich zu Alex. Nirgends war auch nur eine Spur von einem Druckanzug zu sehen; also war sie nicht mit den Vandalen gekommen.
    Wir hatten nichts, um sie einzupacken, keine Möglichkeit, die Leiche zu sichern. Alex stand lange Zeit einfach nur da und starrte sie an. Dann sah er sich im Raum um. Es gab drei Kontrolltafeln. Sie öffneten die Außenluken, hielten die Station stabil, regulierten die Kommunikation, behielten die Lebenserhaltungssysteme im Auge und überwachten vermutlich auch die Bots, die für den Service in den Quartieren zuständig waren.
    »Ich glaube, du hast Recht«, sagte er schließlich.
    »Wahrscheinlich haben sie nicht kontrolliert, ob alle da sind, als sie die Station verlassen haben.«
    Er sah mich an. »Vielleicht.«
    Die Leiche war verschrumpelt, trocken, das Gesicht ausgedörrt, die Züge vollständig verschwunden. Ich dachte darüber nach, was sie wohl empfunden haben mochte, als sie erkannt hatte, dass man sie zurückgelassen hatte. »Wenn es wirklich so war«, sagte Alex, »dann muss es mit Absicht geschehen sein.«
    »Du meinst, weil sie sie hätte rufen können? Ihnen hätte sagen können, dass sie noch hier war?«
    »Das wäre ein möglicher Grund dafür.«
    »Wenn sie die Station aufgegeben haben«, wandte ich ein, »dann hätten sie auch die Energieversorgung abgeschaltet, bevor sie abgereist sind. Vielleicht hat sie nicht gewusst, wie man sie wieder einschaltet.« Er verdrehte die Augen. »Also, welchen Grund gibt es noch?«
    »Sie hätten ein ganzes Team eingesetzt, um eine Aufgabe wie die Schließung einer Station zu bewältigen. Es ist einfach nicht möglich, dass jemand zurückbleiben konnte, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Nein. Das war Absicht.«
    Drei Wände dienten als große Bildschirme, und es gab einen Haufen elektronischer Geräte. Auf der hinteren Wand, der, über die der Leichnam kroch, prangte ein Bergadler, der jahrhundertelang das Symbol des Shenji-Imperiums gewesen war. Zwei Sätze waren unter dem Adler zu lesen.
    »Was steht da?«, fragte ich.
    Alex hatte ein Übersetzungsgerät dabei. Er gab die Buchstaben ein und verzog das Gesicht. »Der Pakt. So haben die Shenji jener Zeit ihre Nation bezeichnet, die im Grunde genommen ein Bund aus mehreren Einzelstaaten war. Der Pakt.« Er zögerte. »Der zweite Ausdruck ist nicht so leicht zu übersetzen. Er bedeutet so etwas wie Engel der Nacht.«
    »Engel der Nacht?«
    »Naja, vielleicht auch Nachtwächter. Oder Engel der Finsternis. Ich nehme an, das ist der Name dieser Station.«
     
    Eine Außenstation unterhielt stets etwa ein Dutzend Räume als Unterkünfte für Reisende. Wenn Sie über Nacht bleiben und vielleicht sogar jemanden in Ihr Appartement schmuggeln wollen, ohne dass der Rest der Welt davon erfährt, ist das der richtige Ort für Sie. Üblicherweise standen in diesen Räumen echte Betten im Gegensatz zu den Klappbetten auf den Schiffen. Dann gab es vielleicht noch einen Stuhl oder zwei sowie einen Computeranschluss und möglicherweise einen kleinen Tisch und ein Buch.
    Die Quartiere im Engel der Nacht befanden sich zwei Decks über dem Kontrollzentrum in einer Entfernung von etwa einem Kilometer. Wir hatten uns dort umgesehen, um festzustellen, ob einer der Räume aussah, als wäre er bewohnt gewesen; aber es war zu viel Zeit vergangen, und die Gegenstände in den Räumen waren vollkommen durcheinander geraten, weshalb es unmöglich war, festzustellen, ob eines der Quartiere von unserem Todesopfer bewohnt worden war.
    Schließlich öffneten wir eine Luftschleuse und übergaben den Leichnam dem Nichts – natürlich erst, nachdem wir ihm das Armband abgenommen hatten. Ich war nicht überzeugt davon, dass wir das Richtige taten. Immerhin war dieser Mensch schon seit sehr langer Zeit tot und so selbst zu

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