Polaris
Das, immerhin, musste man ihm lassen. Ich habe schon für Leute gearbeitet, die nicht gezögert hätten, ihre Mitarbeiter dazu zu missbrauchen, schlechte Neuigkeiten weiterzugeben. Er rief vom Wohnzimmer aus an, bequem auf dem Sofa, hinter sich den Blick auf Melony (er ging traditionell so vor, ich rief vom Büro aus an, er vom Sofa aus). Und er war gut. Er beschrieb das Blutbad, erzählte, wie entsetzt er gewesen war und wie schrecklich es sei, dass so viel verloren gegangen war. Er formulierte sorgfältig und erzählte die Wahrheit. Mehr oder weniger. Und nur, weil er wusste, dass die Wahrheit am Ende so oder so ans Licht kommen würde. Er habe es geschafft, eine Hand voll Objekte zu retten, aber dummerweise nicht die, die für den jeweiligen Klienten vorgesehen waren, bla, bla, bla. Er hoffe, beim nächsten Mal würde es besser laufen. Und er würde – natürlich – eine Möglichkeit finden, alles wieder gutzumachen.
Schon gut, Alex, so sagten beide Klienten. Seien Sie unbesorgt. Ich weiß, wie es gehen kann. Danke, dass Sie es versucht haben.
Als er fertig war, ließ er ein Lächeln aufblitzen. Ich erklärte ihm, ich würde mich für ihn schämen, was mir ein Grinsen einbrachte. Dann übertrug er mir die erfreuliche Aufgabe, die erfolgreichen Aspiranten zu informieren.
Ich rief jeden an, erzählte von dem Ereignis und zeigte die Objekte ihren neuen Eigentümern: die Weste des Captains einem lachenden Paul Calder und die Plakette einem stoischen, aber unverkennbar entzückten Vlad Korinsky.
Zu der Weste gehörte ein Bild von Maddy, auf dem sie das Kleidungsstück trug. Calder hob triumphierend die Faust. Er hatte selbst Pilot für interstellare Flüge werden wollen, aber er war farbenblind und hatte sich nie qualifizieren können. Das ist eine alberne Anforderung, da die Sehschwäche korrigiert werden kann, aber die Regeln verlangen, dass die Augen aus eigener Kraft den Standards zu genügen hatten.
Diane Gold strahlte, als ich ihr das Etui zeigte. Wir hätten es gar nicht besser machen können, sagte sie. Gold war Architektin, eine außergewöhnlich schöne Frau, aber eine, von der ich annahm, dass kein Mann mit ihr würde leben wollen. Sie gab ständig Anweisungen, wusste immer alles besser, und sie fing spätestens fünf Minuten nach ihrem Erscheinen an, jedem im Raum auf die Nerven zu fallen. Sie war persönlich verärgert über die bösen Bombenleger, die ihr kostbares Etui hätten zerstören und dabei ganz zufällig auch mich hätten umbringen können. »Der Tod ist noch zu gut für die«, verkündete sie.
Die Bibel ging an Soon Lee, eine Büchersammlerin und reiche Witwe, die auf Diamond Island lebte. Marcia Cable war nicht daheim, als ich sie anrief, aber sie rief binnen einer Stunde vollkommen atemlos zurück.
»Sie bekommen eine Uniformbluse«, sagte ich zu ihr. »Die von Maddy.«
Ich dachte, sie würde kollabieren.
Der schwermütigste Augenblick trat ein, als ich Ida Patrick den Overall zeigte. Sie lauschte, schwankte ein wenig und fragte, was sonst noch bei der Ausstellung zu sehen gewesen war. »Gläser und Bücher«, antwortete ich. »Bestecke und Jacken. Und zwei andere Overalls.«
»Von wem?«, fragte sie.
»Urquharts und Mendozas.«
Ich konnte ihre Anwesenheit beinahe physisch spüren. Jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, und ich fürchtete für einen Moment, sie hätte einen Herzanfall erlitten. »Und die wurden durch die Bomben zerstört?«
»Ja.«
»Barbaren«, zischte sie. »Haben nicht einmal den Anstand, einen verantwortungsvollen Anschlag zu verüben. Ich weiß wirklich nicht, was aus unserer Welt werden soll, Chase.«
Auf seine ganz eigene Art war jeder der Artefakte faszinierend, und ich freute mich über die Gelegenheit, etwas Zeit mit ihnen zu verbringen, während ich sie für den Versand an die neuen Eigentümer vorbereitete. Der Gegenstand, der mich am meisten in seinen Bann schlug, war Garth Urquharts Bibel. Sie war mit Gold geprägt und abgenutzt, und ihre Seiten waren voller Notizen, manche davon bedauernd, alle unfehlbar prägnant. Urquhart, dessen öffentliche Darstellung das Bild eines ruhelosen, optimistischen Mannes vermittelt hatte, offenbarte Zweifel am Weg der Menschheit. In der Genesis, dem ersten Buch Mose, neben der Passage »Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde«, hatte er notiert: Das haben wir getan. Die Ressourcen werden bald knapp werden. Aber das ist in Ordnung. Im Augenblick haben wir, was wir brauchen. Was aus unseren
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