Polaris
Ein Schiffsrumpf mit geöffneten Frachtluken ragte ins Bild hinein.
»… im Orbit um die Sonne, Mr. Everson?«, fragte Paley gerade.
»Das ist richtig, Paley. Das schien in dieser Sache die passende Vorgehensweise zu sein.« Die Kisten waren größer als er, aber natürlich befanden sie sich in einer Umgebung mit niedriger Gravitation. Jemand ergriff eine Kiste und trug sie durch die Frachtluken aufs Schiff.
»Aber wozu das alles?«, fragte sie.
Everson war ungefähr fünfundzwanzig. Wenn man sein Alter außer Acht ließ, hatte er ein gelehrtenhaftes Auftreten, was durch einen schwarzen Bart noch verstärkt wurde. Er war konservativ gekleidet. Graue Augen, eine Haltung, die Reife andeutete, und die langen, schmalen Hände eines Pianisten. »In gewisser Weise«, sagte er, »sind diese Gegenstände beinahe heilig. Sie sollten mit Respekt behandelt werden. Das ist es, was wir tun.«
»Jacob«, fragte ich, »was ist in diesen Kisten? Weißt du das?«
»Nur eine Minute, Ma’am, dann werde ich den Bericht noch einmal durchsehen.«
Paley schaute zu, wie eine weitere Kiste fortgetragen wurde. »Wie weit werden Sie hinausfliegen, ehe Sie die Kisten über Bord werfen?«
»Diese Art Fracht wirft man nicht einfach über Bord«, gab er zurück. »Man gibt sie frei. Wir werden sie zur Ruhe betten.«
»Chase«, meldete sich Jacob, »die Kisten enthalten den Schutt von der Bombenexplosion bei der Vermessung.«
»Meinst du die Artefakte?«
»Ja. Was davon übrig ist.«
»Und wie weit«, setzte Paley erneut an, »werden Sie hinausfliegen, ehe Sie sie freigeben?«
»Nur bis zum Mond. Wir werden Skydeck verlassen, wenn er mit der Sonne in einer Flucht steht. Der Mond, meine ich. Das wird heute Nacht geschehen. Gegen 03:00 Uhr. Wir werden immer noch auf dieser Seite des Monds sein, wenn wir alles freigeben.«
»Mr. Everson, so weit ich verstanden habe, sollen die Container in einen Solarorbit gebracht werden.«
»Nicht die Container. Die Container behalten wir. Nur die Asche wird freigesetzt. «
»Asche?«
»Wir hielten es für angemessen, alles zu Asche zu verbrennen. Aber, ja, sie wird sich in einem Solarorbit befinden. Ihre durchschnittliche Entfernung von der Sonne wird elf-Komma-einen Kilometer betragen, was genau ein Prozent der Strecke ist, die zwischen ihnen und Delta Kay lag, als man zum letzten Mal von ihnen gehört hat.«
McGuire drehte sich um und sah direkt in Chases Richtung. »Da haben Sie es, Leute. Ein letzter Gruß an die sieben Helden der Polaris. Sechzig Jahre danach.«
Ich rief Alex dazu. Jacob schaltete zum Anfang zurück, der wenig neue Informationen enthielt, und ließ die Sendung noch einmal durchlaufen. »Hast du je von dem Kerl gehört?«, fragte ich, als es vorbei war.
»Nie. Jacob, was weißt du über Everson?«
»Nicht viel, Alex. Er ist unabhängig und reich. Geboren auf Toxicon. Hat sechs Jahre auf Rimway zugebracht. Besitzt Land in Ost-Komron. Da oben betreibt er eine Art Schule. Morton College. Ein Weiterbildungsinstitut für Hochbegabte. Unverheiratet. Keine bekannten Kinder. Spielt wettbewerbsfähig Schach. Offenbar sogar recht gut. Und er gehört dem Vorstand der Polaris-Gesellschaft an.«
»Polaris-Gesellschaft? Was ist das?«
»Eine Gruppe von Enthusiasten. Die Gesellschaft arbeitet weltweit. Einmal jährlich veranstalten sie eine Tagung in Andiquar. Sie findet traditionell am Wochenende nach dem Tag statt, an dem die Polaris hätte nach Hause kommen sollen.«
»Und das ist…«
»Dieses Wochenende, wie es der Zufall will.«
Ich fragte Alex ganz ungezwungen, ob er Interesse daran hätte, an der Tagung teilzunehmen. Eigentlich sollte das nur ein Scherz sein, aber er nahm mich ernst. »Das sind alles Verrückte«, sagte er.
Eigentlich klang die ganze Sache aber doch recht interessant, und das sagte ich ihm. »Sie bieten Diskussionsforen und Unterhaltung, und das könnte eine Gelegenheit sein, neue Kunden zu gewinnen.«
Er verzog das Gesicht. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeiner unserer Klienten sich bei so einer Veranstaltung blicken lassen würde. Aber geh nur hin. Und viel Spaß dabei.«
Warum nicht? Ich ging zur Gesellschaftsdatenbank und informierte mich über die Gruppe. Es dauerte nicht lang, bis ich feststellte, dass Alex Recht hatte: Das waren Fanatiker. Die Beschreibung der Tagung gab den Ausschlag: Sie lasen einander pseudowissenschaftliche Artikel vor; sie spielten Spiele, die auf dem Schicksal der Polaris basierten; sie diskutierten die
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