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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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anderen, aber wir wären beide dort gestorben, wenn wir geblieben wären und so mussten wir auch gehen
.
    ich werde jetzt nochmals gehen, für immer, ich habe dich allergernst, nein allerliebst. denke nicht bös von mir
.
    bis im Himmel
.
    mama
    Breiter wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Breiter wusste gar nichts mehr. Er war voller Wut und voller Liebe. „War das alles? Mama!“, schrie er in den Zug.
    Die wenigen Fahrgäste blickten sich erschrocken nach ihm um. Er lächelte und winkte zurück.
    Und plötzlich waren die Bilder wieder da, das wutentstellte Gesicht seines Vaters über ihm, wie er plötzlich die Augen verdrehte, über ihm zusammenbrach, die Mutter mit einem Holzbrett über ihnen stand, wie sie dem Vater einen Tritt verpasste, so dass er von ihm wegrollte, wie sie ihn bei der Hand nahm, aus dem Haus in einen Schuppen am Ende des Dorfes führte, dessen Tür verrammelte, ihn fest an sich zog, sie beide in eine kratzende Wolldecke einwickelte, Schweigen, Wind, Knarren, Tiergeräusche. Und dass sie ihn die ganze Nacht, wohl bis er eingeschlafen war, küsste und fahrig vor Aufregung über den Kopf streichelte.
    Wie sie am anderen Morgen den Gendarmen aufsuchten, der sie nach Hause schickte, wo der Vater mit einem lumpigen Feldblumenstrauß wartete und bei allen Heiligen schwor, dies nie wieder zu tun, nie mehr zu trinken und sie ins Schlafzimmer verschwand, der Vater ihn in den Stall gehen hieß und ihr nach oben folgte. Im Stall hörte er die beiden streiten, schreien und danach stöhnen und keuchen. Und er, der Jakobli im Stall, drosch wie ein Wahnsinniger auf eine Ziege ein.
    Breiter schlief ein, wachte in Zürich auf, stieg in den Zug nach Basel und schlief wieder ein. Heimgekommen, schob er ein Brikett in den Ofen, legte sich ins Bett, holte sich einen runter, um sich zu beruhigen, schlief unruhig und bestieg am anderen Morgen pünktlich einen mit Senftuben gefüllten Opel-Lieferwagen, den links und rechts ein Reklameschild für Kaffeeersatz schmückte.
    Breiter musste nach Langenthal zur zum Unternehmen gehörenden Helvetia-Senf fahren, um die dortigen Außendienstler über die Vorteile des Tubensenfs zu instruieren.
    Als er bei Waldenburg die Spitzkehre hinter sich ließ und mit allem, was der Opel hergab, in das lange Waldstück einbog, lag mit jedem Meter, den er an Höhe gewann, mehr Schnee. Breiter liebte es, auf Schnee zu fahren, das Driften durch die Kurven, Gegensteuer geben, die Drehzahl im optimalen Bereich halten, so dass die Räder nicht durchdrehten und trotzdem genug Kraft hergaben, um den Pass hochzukommen.
    Als er das erste Waldstück hinter sich hatte, lag am Straßenrand ein großer, königsblauer Horch und davor ein Mann, im eleganten Zweireiher, der aufgeregt seinen Hut schwenkte und Breiter zum Anhalten aufforderte.
    Was er auch tat. Er kurbelte die Fensterscheibe runter und fragte: „Kann ich helfen?“
    „Können Sie“, war die Antwort des Herrn mit schwarz umrandeter Nickelbrille, „fahren Sie bis nach Balsthal?“
    „Ja. Langenthal.“
    „Nehmen Sie mich mit?“
    „Ja, steigen Sie ein.“
    „Danke.“
    Ganz sachte ließ Breiter die Kupplung los, die Räder drehten auf der glatten Oberfläche ganz wenig durch, griffen mehr und mehr und schoben den Lieferwagen die Passstraße hoch.
    „Gut gemacht, junger Mann“, sagte der Mann im schwarzen Ledermantel. „Darf ich mich vorstellen: Dr. Ambros de Mijouter, I. P. Gugy AG, und was fahren Sie?“
    „Senf.“
    „Senf?“
    „Ja, Senf in Tuben.“
    „In Tuben?“
    „Ja, in Tuben wie für Ölfarben oder so.“
    „Bleituben?“
    „Ja, irgendwie so.“
    „Und das läuft?“
    „Wenn die Leute die anfängliche Skepsis gegenüber der Tube verlieren, sind sie meist begeistert. Ist halt viel praktischer.“
    Auf der Passhöhe, kurz vor Langenbruck angekommen, gab der Wald den Blick auf die Sprungschanze, die Skifahrer, die elegant, oder mit den Armen rudernd nach dem Gleichgewicht suchten, den Hang hinunterglitten und auf das Sanatorium frei. Es schneite ganz leicht, doch die Sonne machte Anstalten, sich gegenüber den Wolken doch noch durchzusetzen.
    „Ein Horch, richtig?“
    „Ja, junger Mann, ein 670er, Zwölfzylinder.“
    „Und wie ist es passiert?“
    „Mein Chauffeur ist krank und ich bin, wie causa zeigt, nicht der geübteste Lenker. War wahrscheinlich ein wenig zu schnell, so kam der Wagen ins Rutschen. Und wenn die zweieinhalb Tonnen mal rutschen, ich sag Ihnen, dann rutschen sie.“
    „Zum Glück

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