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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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in den Horch, ging im Geiste nochmals das Startprozedere – „wenn es ein Zwölfzylinder ist, musst du den Stromkreis auf beide Blöcke leiten. Da muss es einen Schalter geben, vergiss das ja nicht, sonst gehen sechs Zylinder den Bach runter“ – des Horchs durch, zog den Choke und drückte den Starterknopf. Der Wagen sprang an. Breiter ließ den Zwölfzylinder im Leerlauf ein wenig aufheulen, gab de Mijouter ein Zeichen und ließ langsam die Kupplung los.
    De Mijouter machte seine Sache richtig und so fasste der Horch Boden und die zweieinhalb Tonnen Chrom, Stahl und Edelholz schoben sich langsam zurück auf die Passstraße.
    Breiter zog die Handbremse, löste den Karabinerhaken beim Horch, löste den Karabinerhaken beim Opel, warf das Seil in den Laderaum und stieg zu de Mijouter auf den Beifahrersitz.
    „Ganz gut gemacht, junger Mann. So, jetzt nach Basel, fahren Sie hinter mir, bis zu mir nach Hause.“
    „Ja, Herr de Mijouter, bitte im ersten Gang bleiben, bis wir unten sind.“
    „Ja, ja, hab’s schon begriffen.“
    „Gut.“
    „Junger Mann!“
    „Ja, hab’s auch begriffen.“
    „Und tragen Sie Sorge für meinen Wagen.“
    Breiter lächelte, stieg aus dem Opel, in den Horch und fuhr hinter de Mijouter nach Basel zurück.
    Auf der langen geraden Strecke durch den Hardwald hätte ihn beinahe der Teufel geritten, er war ganz nahe daran, das Gaspedal des Zwölfzylinders durchzudrücken und den Opel vor ihm zu überholen.
    „Bau keinen Mist“, sprach er mit sich selbst, „so nahe warst du noch nie an den Oberen dran.“
    Breiter ließ sich ein wenig zurückfallen, entspannte sich, genoss das ruhige Gleiten in dem luxuriösen Wagen und folgte der hölzernen Kiste durch das reiche Gellertquartier mit seinen prunkvollen Stadtvillen, bis diese in eine Einfahrt einbog, die in weitem Schwung zu einer repräsentativen Doppeltreppe führte.
    Noch bevor der Wagen stillstand, ging die Tür auf, ein Diener sprang die Treppe hinunter, öffnete die Wagentür und staunte nicht schlecht, als er statt des Gesichts seines Herrn das süffisante Grinsen von Jakob Breiter gegenwärtigte.
    „Herr de Mijouter sitzt im Lieferwagen“, gab Breiter dem verdutzten Diener Bescheid, zog den Zündschlüssel, übergab ihm den Schlüssel und ging beschwingten Schrittes zu seinem Wagen. Aus diesem schälte sich Ambros de Mijouter, strich seinen Mantel glatt, ging auf Breiter zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: „Das haben Sie gut gemacht, junger Mann. Männer wie Sie sind zu gebrauchen. Wie viel verdienen Sie jetzt bei der Senffabrik?“
    „Bei der Franck verdiene ich zurzeit 307 Franken und 25 Rappen.“
    „Und Sie fahren nur Senf herum? Sie können doch mehr?“
    „Ich mache den Läden und Metzgereien den Senf schmackhaft. Und dazu Kaffeeersatz. Caro-Kaffee kennen Sie sicher.“
    „Wir trinken Kaffee, junger Mann. Was haben Sie vorher gemacht?“
    „Ich arbeitete im Kontor des Grand Palace in St. Moritz.“
    „Aha, beim Camenisch. Guter Mann. So können Sie also auch rechnen.“
    „Sehr gut, mit Verlaub.“
    „Gut rechnen, gut verkaufen, gut fahren. Wir brauchen jemanden wie Sie. Hatten Sie viel Kontakt mit Gästen?“
    „Ich war beliebt. Sie können Direktor Camenisch fragen.“
    „Die I. P. Gugy AG macht unter anderem Farbstoffe für Textilien. Das Deutschlandgeschäft könnte einen Mann wie Sie gebrauchen. Würden Sie sich das zutrauen?“
    „Ja, klar.“
    „Wann haben Sie Feierabend?“
    „Um sechs.“
    „Kommen sie übermorgen nach sechs in mein Büro. Und bringen Sie Ihre Papiere mit.“
    De Mijouter streckte Breiter seine Visitenkarte hin.
    „Mmmh, eine Frage, wie hoch wäre mein Lohn?“
    „Mindestens 320.“
    „Mmmh, so …“
    „Ja, wollen Sie feilschen? Junger Mann, es herrscht Krise!“
    „Autofahren ist gefährlich. Und Farbstoffe sind kein Senf.“
    „Also reden wir über 330 bis 340. Auf keinen Fall mehr. Ist das klar?“
    „Ja, ich komme, übermorgen, nach sechs.“
    „Gut.“
    „Danke, Herr de Mijouter.“
    „Übrigens … Herr … – sehen Sie, alles ging so schnell, ich weiß nicht einmal Ihren Namen.“
    „Breiter, Jacques Breiter.“
    „Es hat Spaß gemacht, in Ihrer Senfkiste.“
    „Mir auch, im Horch.“
    Zwei Tage später saß Breiter mit Willy Hebeisen bei Bratwurst und Bier im „Schafeck“. Es war nicht gerade das feinste Lokal der Stadt, die Rauchschwaden hingen tief, die sechs grobmaserigen Tische trugen Narben manches im Alkohol ersäuften Elends, in der Ecke,

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