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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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nahe beim Ausgang wetterten Arbeiter mit Schiebermützen gegen die Chemiebarone, sehnten sich nach dem kommunistischen Paradies und wünschten die Nazis zum Teufel, während am runden Tisch, nahe des Ausschanks, Frontisten die Gläser auf Adolf Hitler hoben, die Überlegenheit der weißen Rasse feierten und die Kommunisten auf den Misthaufen der Geschichte wünschten. Dazwischen saßen Taglöhner, die Gerüchten über Arbeit am Rheinhafen oder am Güterbahnhof nachjagten, Hehlerware wechselte den Besitzer, Luden versuchten ihre Trottoiramseln an Freier zu bringen und über allem wachte auf einem vergilbten Emailschild die grüne Fee, bedeckt mit nichts als einem durchsichtigen Schleier, über die hier versammelte Bagage.
    „338,50, verstehst du, 338,50 und Deutschland“, überschrie Breiter den Lärm in der Kneipe.
    Hebeisen nickte.
    „Hammer, und alles wegen dem Horch. Und dank dir, Prost.“
    „Warum so viel?“
    „Ich habe ihm gesagt, ich würde jetzt schon 307 verdienen.“
    „Und wie viel bekommst du jetzt wirklich?“
    „272, haha. Hey, Willy, das war der beste Handel, den ich je gemacht habe. Willy, das sind über 60 Franken mehr, mehr als, mehr als, mehr als 20 Prozent, ja fast 25 Prozent mehr.“
    „Imponierend, wirklich imponierend. Und der Horch?“
    „Ein Traum, Willy, ein Traum. Blau, glänzend, königsblau, ganz feines, hellgraues Leder, das Armaturenbrett in helleren Brauntönen, umfasst von Holz in dunklerem Braun, beides in wiederum verschiedenen Tönen, der Übergang zu den Fenstern mit ganz hellen Leisten, und ein Anzug, ich sage dir, da kann dein Bentley abstinken dagegen.“
    „Es ist nicht mein Bentley und es ist nicht dein Horch, Köbi.“
    „Jacques!“
    „Köbi-Jacques.“
    „Jacques!“
    „Gut.“
    „Aber für immer, sonst werden wir nie Brüder.“
    „Will ich dein Bruder werden?“
    „Ich an deiner Stelle würde.“
    „Warum?“
    „Weil du durch mich vielmehr erleben wirst. Weil ich dein Motor bin, dein Getriebe, dein Benzin.“
    „Und ich die Bremse?“
    „Du stehst zumindest drauf.“
    „So, so.“
    „Ja, Willy, dich muss man zu jedem Spaß, zu jedem Weitergehen, zu jeder Entdeckung überreden.“
    „Aha.“
    „Ja, du bist ein Nein-er, du sagst täglich mehr Nein als Ja. Willy, wir sind jung, wir müssen zuerst Ja sagen, das Leben sagt schon genug Nein.“
    „Und du, du bist ein Ja-er?“
    „Ja, ja, und darum sind wir geschaffen für einander. Wie Brüder, schwarz und weiß.“
    „Schwarz und weiß. Und wer ist wer?“
    „Weiß nicht. Einmal ich, einmal du.“
    „Warst du weiß, als du das zerbrochene Bierglas meines Vaters weggetreten hast?“
    „Aber sicher!“
    „Und ich schwarz?“
    „Das kann man so nicht unbedingt behaupten.“
    „Siehst du. So ein Schwachsinn.“
    „Aber es ist trotzdem so.“
    „Wenn schon, ist der Faschismus schwarz und der Kommunismus weiß.“
    „Das ist jetzt Schwachsinn, Willy. Den Italienern geht es so gut wie noch nie, die Deutschen sind daran wieder hochzukommen.“
    „Aber wer nicht ist wie sie, wird umgebracht oder weggesperrt.“
    „Und das macht dein Stalin nicht?“
    „Nein.“
    „Und die Zarenfamilie? Die wurde auch einfach erschossen. Und die vielen Adeligen? Die mussten alle weg. Ich habe viele von ihnen in St. Moritz gesehen.“
    „Da kann es ihnen ja nicht schlecht ergangen sein, den armen Teufeln.“
    „Komm, lass uns aufhören damit. Es macht keinen Sinn.“
    „Jacques, gut, pass einfach auf, dass du mit dieser Einstellung nicht in etwas Dummes reinschlitterst.“
    „Ich schlittere nirgends rein. Ich will einfach das Leben.“
    „Irgendwann klinkt sich bei dir das Leben aus und macht sich selbstständig. Wirst sehen.“
    „Na und?“
    „Dann kannst du es nicht mehr einholen und stehst ohne Seele da.“
    „Ach was.“
    „Pass auf, dass es dann nicht in Bitterkeit endet.“
    „Lieber gelebt haben und dafür bezahlen, als auf einem kruden Arbeiterstolz sitzen bleiben, der einen unten hält.“
    „Lieber ehrlich unten als zwangsverlogen oben.“
    „So?“
    „Ja, so!“
    „Du bist halt so. Ich nicht.“
    „Ja. Aber du könntest was dagegen tun.“
    „Ich will gar nicht. Weil, Willy: Im Großen und Ganzen kann man eh nichts machen.“
    „Doch, der Partei beitreten, zum Beispiel.“
    „Ha, das könnte dir so passen. Komm wir gehen.“
    „Die Partei macht, dass alle Menschen gleich sind, alle Arbeit gleich viel Wert ist, alle gleich viel verdienen, keine Armen und Reichen. Das ist doch

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