Polarrot
ein Wagen, aber keiner würde Breiters erster Fahrstunde im Wege stehen.
„Halt mal, bitte.“
„Warum?“
„Ich muss mal, dringend.“
Hebeisen stoppte den Wagen und stellte den Motor ab, Breiter sprang aus dem Fond, rannte mit seinem über den Kopf gezogenen Mantel zur nächsten Laterne und erleichterte sich eine ganze Weile lang.
Als er mit durchnässtem Mantel auf den Beifahrersitz kletterte, fragte er, nach Luft schnappend: „Und? Warum bist du nicht abgehauen?“
„Das ging aber lange!“
„Ich habe vorher auch drei Flaschen Wasser und ein großes Bier getrunken. Wenn schon mit Hebeisen Schluss machen, dann richtig. Und? Warum bist du nicht abgehauen?“
„Ich hab’s mir halt anders überlegt.“
„Wieso?“
„Weil du, Köbi, ein gottverdammtes Arschloch bist und sich das wahrscheinlich nur ändern wird, wenn du Auto fahren kannst.“
Breiter stutzte einen Moment, dann legte er den Arm um Willy und sagte leise: „Danke.“
„Nur, um dich loszuwerden.“
„Gut, dann lass mich hinters Steuer, dann geht’s schneller.“
„Wir haben eine knappe Stunde Zeit“, antwortete Hebeisen, öffnete die Türe, zog den Schirm aus der Röhre neben dem Sitz, spannte ihn auf, stieg aus, ging um den Bentley herum, öffnete die Beifahrertüre, stieg auf der anderen Seite wieder ein, schloss den Schirm und danach die Türe.
Breiter war zwischenzeitlich auf den Fahrersitz gerutscht und streichelte mit glänzenden Augen das Lenkrad, bestaunte dessen an der Nabe angebrachten Hebel und die Beschriftungen, registrierte die im edlen Wurzelholz eingelassenen Uhren für Strom, Wasser, Benzin und Öl und fragte sich, was wohl die Hebelchen neben dem eingesteckten Zündschlüssel bewirken würden.
„So, großer Köbi, dann sag mir mal, was zu tun ist?“
„Also, ich steh auf der Kupplung, Pedal ganz links, dann drück ich den Starterknopf, lege den ersten Gang ein, der links vorne, und gebe leicht Gas, gehe vorsichtig von der Kupplung, fahre Richtung St. Louis und nehme die Landstraße nach Paris.“
„Fast, aber ganz so einfach kommst du nicht nach Paris.“
„So? Wie denn?“
„Schließe die Luftklappe, da an der Lenkradnabe, dann den Hebel gegenüber auf Retard, Zündung überprüfen, hier, auf der Uhr mit Amperes, die Kupplung treten, dann den Starterknopf drücken und warten, bis der Reihensechszylinder schön leise blubbert. Kapiert?“
„Ja, Luftklappe, Retard, Amperes, Kupplung, Starter … Willy, er läuft, unglaublich, er läuft, Willy!“
„Das tut er bei allen, Köbeli.“
„Ja, aber beim ersten Mal schon, Willy.“
„Auch beim ersten Mal musst du die Handbremse lösen und den Gang einlegen. Hopp!“
Breiter folgte Hebeisens Anweisungen, löste die Handbremse neben der Tür und legte den Gang ein.
„So, fahr jetzt, aber vorsichtig!“
Breiter gab ganz wenig Gas und hob sanft den Fuß von der Kupplung. Der Wagen rollte langsam vorwärts. Breiter gab mehr Gas, der Bentley zog an, Breiter fuhr bis ans Ende des großen Platzes, wendete und gab Gas.
„Zweiter Gang, hopp!“, rief Hebeisen.
Breiter kuppelte und legte den zweiten Gang ein. Das Getriebe krachte laut und der Wagen ruckte und zuckte. Breiter kuppelte erschreckt aus und bremste abrupt. Als der Wagen stillstand, blickte er ängstlich zu Hebeisen hinüber, der aber lachte nur: „Du musst Zwischengas geben, Köbeli, auskuppeln, kurz aufs Gas treten, nächsten Gang einlegen. Hopp!“
„Warum sagst du mir das nicht gleich“, schrie Breiter, „mein Gott bin ich erschrocken, ich dachte, die Karre sei jetzt hin und ich ruiniert.“
„Man droht mir nicht ungestraft, in den Wagen zu schiffen. Hopp jetzt!“
„Arsch!“
„Arschschiffer!“
Breiter fuhr an, gab mehr Gas, kuppelte aus, gab Zwischengas, legte den zweiten Gang ein, gab noch mehr Gas, bremste sanft am Ende des Platzes, wendete, gab noch mehr Gas, legte mit Zwischengas den dritten Gang ein, schaltete am anderen Ende des Platzes runter, wendete erneut und gab wieder Gas und schaltete wieder hoch. So fuhr er den Platz noch mehrere Male rauf und runter, bis Hebeisen darauf drängte, das Steuer wieder zu übernehmen, um seinen Fahrgast am Konzertsaal wieder abzuholen.
Am nächsten Tag, Montag, um sieben Uhr früh, verkündete Jacques Breiter seinem Vorgesetzten, dass er Auto fahren könne und somit den neuen Senf in der Tube auch in Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien, Spanien, ja gar in Russland und überhaupt in der ganzen Welt an die Hausfrau
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