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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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Ambassadorenstadt gewesen.
    Breiter bestellte noch ein zweites Stück Solothurner Kuchen, wie die richtige Bezeichnung hieß, um die Wahl seines zukünftigen Wohnorts auf kulinarischer Ebene bestätigt zu wissen. Und um wirklich ganz sicher zu sein, beschloss er, das Abendessen auch hier einzunehmen.
    Nachdem er bezahlt hatte, schlenderte er durch das Städtchen, hübsch, nett – ein gut erhaltenes barockes Kleinod. Da und dort heruntergekommen, durchgehend vom Kohleruß mit einem Grauschimmer belegt, bestückt mit vielen kleinen Läden, denen da und dort noch der Geruch des 18. Jahrhunderts anhängt, speziell, wenn sich der Fleischer 1938 immer noch „Patrizier-Metzger“ nennt. Es gab sie noch in dieser Stadt, die Macht der alten Geschlechter, der von Sury, von Vigier, von Roll, von Glutz, Scherer oder Grimm, und sie durchwirkte in kleinen Gesten die Stadt.
    Breiter fiel da und dort ein knappes Senken des Hauptes, die Andeutung eines Knickses, die Ansprache des „Ja, Madame“ oder „Nein, mein Herr“ auf. Hier war das Parfum der Aristokratie noch nicht vollständig verwelkt.
    Der Bauernmarkt war üppig und mit guter, frischer Ware aus dem Umland bestückt. Hier und da war badischer oder württemberger Dialekt zu hören. Die Mägde feilschten oft lautstark um Qualität und Preise.
    Breiter ging am Alten Stephan vorbei zur Aare und setzte sich auf die Uferbrüstung. Schräg am anderen Ufer war das über 600 Jahre alte Spital, das nach seiner Aufhebung vor wenigen Jahren dem Zahn der Zeit übergeben worden war.
    Schade, dachte Breiter, eine wunderbare Anlage, geradezu ein Privileg, dort drin von umsorgenden Krankenschwestern gesund gepflegt zu werden.
    Was wollte er tun? Wie müsste er es angehen, um hier wieder auf die Beine zu kommen? Ein Auto musste her, am besten ein Lieferwagen. So konnte er etwas einbringen und die Chancen, bessere Arbeit zu bekommen, erhöhen. Zumal, es gab hier diverse Uhrenfabriken, Feinmechanik, Waffen-, Zünderund Patronenfirmen, ein Unternehmen, das Telefone und Radios herstellte. Soweit hatte er sich erkundigt. Eigentlich alles Betriebe, die Zukunft hatten. Also müsste auch er Zukunft in Solothurn haben.
    Breiter war nach Gehen. Spazierengehen. Etwas, was er vorher von sich nicht gekannt hatte. Einfach geradeaus, immer geradeaus, ohne Mauern oder Stacheldrahtzäune, die einen zu einem Marsch im Viereck oder zur Umkehr zwangen. So ging er wieder zurück, verließ die Stadt durch ein anderes Tor und fragte ein altes Weib nach einem schönen Spaziergang. Die Alte sah ihn von oben nach unten und wieder hinauf an und sagte bestimmt: „Euch täte wohl die Verenaschlucht erbauen.“
    Breiter hatte keine Lust, sich in einer Schlucht zu erbauen. So ging er ums Geviert und wieder zurück in die Stadt.
    Sein Gang hatte ein klein wenig an Leichtigkeit eingebüßt, die Schultern trug er eine Winzigkeit höher und die Augen wanderten gezielter hin und her.
    Die Zeit in Haft war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Alleine der Umstand, dass er sein Glück nicht in einer der größeren Städte suchte, sondern es vorzog, in einem Provinzstädtchen das Leben auf seine Seite zu ziehen, zeugte doch von dem Willen, die Gier nach Reichtum und Sorglosigkeit vorerst zu drosseln.
    Einfach nochmals anfangen. Im kleineren Rahmen, quasi als Probe für eine größere Bühne. Sicherheit gewinnen, trittfesten Boden unter die Füße bekommen, der halt alles Weitere böte. Die Geschwindigkeit ergäbe sich von alleine.
    So setzte er sich ans Aareufer, sah den trägen Wassern des Flusses zu, wie sie die Langsamkeit auskosteten, im Wissen, bald von einem mächtigeren Strom mitgerissen zu werden.
    Die Gaststube war gut gefüllt. Am langen Tisch neben Breiter war für eine etwa zehnköpfige Gesellschaft gedeckt. Breiter bestellte ein Bier und ließ sich die Karte reichen. Gutbürgerliche Küche, keine Überraschungen, nur eine Fantasiebezeichnung: Ambassadorenteller. Ein verkapptes Tournedos Rossini. Statt Gänseleber Entenleber, statt schwarzem Trüffel Saisonpilze. Dazu ein käseüberbackenes Kartoffelgratin. Ein wenig schwer das Ganze, aber mit einer Flasche Nuits-St.-Georges Premier Cru wird das schon gehen.
    Dem Ambassadoren-Tournedos wurde ein Aller-weltssalat vorausgeschickt.
    Nach und nach füllte sich der Saal und schließlich kamen auch die Herren, für die der lange Tisch gedeckt war. Es waren stattliche Herren, ein wenig gekleidet wie vor zehn, fünfzehn Jahren, Gehrock, einer trug Gamaschen, ein

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