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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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Willy?“
    „Es liegt an dir.“
    Breiter nickte.
    Willy bestellte noch zwei Damassines.
    „Was machst du jetzt? Willst du bei uns schlafen?“
    „Bei dir und Rosie?“
    „Ja, halt nur auf dem Sofa. Bis du etwas hast.“
    „Nein, lass mal. Ich gehe ins Hotel. Hast du noch Geld? Ich gebe es dir morgen zurück.“
    „Ist es wegen Rosie?“
    „Aber nein, wo denkst du hin. Ich muss jetzt einfach mal alleine sein, nachdenken, auftanken. Einfach für mich. Ich war nicht viel für mich alleine in den letzten Jahren, weißt du.“
    „Kann ich verstehen, ja.“
    „Wollen wir gehen?“
    Den nächsten Tag verbrachte er im Hotel. Schlief lange, traumlos, was ihn selbst erstaunte, ließ sich das Frühstück aufs Zimmer bringen, verweilte in der Lounge, las Zeitungen und Illustrierte, trank Kaffee und Tee und dachte darüber nach, was für ein Leben er sich für die nächste Zeit anziehen sollte.
    Auto und Arbeit. In dieser Reihenfolge. Das war das erste, was er haben musste. Auto sollte kein Problem sein, er müsste noch genügend Geld in den Kässelis haben und dann war da auch noch das Gold. Arbeit? In Basel wohl kaum. Der Arm von de Mijouter und der Gugy AG würde bis in den hintersten Winkel der Stadt reichen. Und wenn nicht, wollte er hier bleiben? Immer wieder auf seine Vergangenheit stoßen? Erinnerungen aus Regenrinnen klauben, Charlottes Bild auf Brandmauern auftauchen sehen, de Mijouters Stimme in den Ohren und Witwe Hunzikers Wurstsalat mit Gewürztraminer in der Nase?
    Er musste raus aus der Stadt. Nur wohin? Zürich, Bern, London? Zu Charlotte? Würde das Sinn machen? Oder würde sie ihm eröffnen, dass sie mit irgendeinem steinreichen englischen Lord in zwei Monaten Hochzeit feiern würde, sehr, sehr glücklich sei und es ihr sehr, sehr leid täte, was passiert sei, aber das Leben müsse eben weitergehen und jetzt auch für ihn? Nein, so wäre sie sicher nicht, aber auf ihn warten würde sie wohl auch nicht. Und darüber nachzudenken machte eh keinen Sinn, denn aus der Schweiz kam er nicht raus, er hatte noch ein Jahr Meldepflicht.
    Zürich? Die Stadt Zwinglis, Züri Gschnetzeltes, Knabenschießen, Zünfte und Sechseleuten; nein, nein, das waren ihm dann der Herrenveranstaltungen zu viele. Bern? Bundesbern? Beamte, Schlachtplatten, Meringue mit Nidle und alte Patriziergeschlechter; irgendwie dasselbe wie Basel, nur in sich geschlossener und langsamer. Genf? Französisch? Reizvoll, aber ein zu großer Zeitverlust. Also keine Großstadt.
    Luzern? Regenloch. St. Gallen? Pfaffenstadt. Lugano? Gleiches Problem wie Genf. Solothurn? Schwarzkatholisch.
    Solothurn? Die haben doch eine so gute Torte. Von der hatten die Witwe Hunziker und Charlotte geschwärmt. Solothurn, das wäre vielleicht eine Verkostung wert.
    Am Abend holte er bei Willy seine Kässelis. Er war froh, dass Rosie nicht da war. Er war noch nicht bereit, Rosie als Willys Frau und dazu noch schwanger zu begegnen. Sie tranken zusammen ein Bier und Breiter sah zu, dass er weg war, bevor Rosie von einer konspirativen Parteiversammlung zurückkam. Basler Parlament und Regierung hatten die Kommunisten per Gesetz aus dem Staatsdienst ausgeschlossen. Auf der anderen Seite wurde eine Initiative für das Verbot nationalsozialistischer Aktivitäten vom Bundesrat blockiert. So bereitete man sich auf die Arbeit im Untergrund vor, wie Willy es ausdrückte.
    Im Hotel angekommen, zählte er den Inhalt der Kässelis zusammen. In „Mama“ waren noch die ganzen 900 Franken drin, die er nach ihrem Tod erhalten hatte. In „Essen“ hatte es noch ein lausiges Fünf-Franken-Stück. Er hatte es für das Picknick mit Charlotte bis auf die fünf Franken geleert. „Kleider“ war leer, „Steuern“ auch. „Überraschungen“ war von den anfänglich 75 Franken auf 30 geschmolzen (Rosie), „Träume“ war voll, 1.125 Franken und im Glas „Miete“ steckte ein weißer Umschlag.
    Breiter öffnete ihn, fand Banknoten und einen Kurzbrief.
    Lieber Köbeli!
    Nun ja, ich kann und will nichts sagen zu dem, was dir widerfahren ist. Ich kann nur ein bisschen helfen, dass du schnell wieder auf die Beine kommst, wenn du zurückgekehrt bist. Ich werde das wohl nicht mehr erleben. Meine Krankheit wird mich bis dahin vollends aufgefressen haben
.
    Also: Hier hast du die im Voraus bezahlte Miete zurück. Fast 200 Stutz. Das hilft wohl
.
    Der Goldbarren, den ich hinter deinen Socken gefunden habe, ist in einem der Socken im Keller, bei deinen anderen Sachen. Mach schnell, sonst könnte

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