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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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ließen.
    „Sie sehen, Herr Breiter, mit Solothurn haben Sie keine schlechte Wahl getroffen. Hier spielt die Musik!“, wandte sich Schwaller kurz an Breiter, bevor er seine ganze Aufmerksamkeit der Tänzerin auf seinem Schoß, ihrer geschnürten Wäsche und den darin noch behüteten, prallen Brüsten schenkte.
    Als er sich von Schwaller abwandte, stand eine stramme Frau vor ihm, blondes Haar, blaugraue Augen, die eine warme Lebendigkeit ausstrahlten.
    „Ich bin Elsie, und wer bist du?“
    „Ich bin Jacques.“
    „Du bist nicht von hier.“
    „Du auch nicht.“
    „Lädst du mich auf ein Glas ein?“
    „Ich bin Gast. Wie du.“
    „Ich könnte ja aus deinem trinken.“
    Breiter nahm sein Glas, klopfte auf seine Oberschenkel, Elsie setzte sich darauf, Breiter legte seinen Arm um ihre Schulter, sie lehnte sich leicht nach hinten und er flößte ihr einen Schluck Wein ein.
    „Badenserin?“
    „Hmm, lass mich raten … Toggenburger?“
    „Das bleibt aber unser Geheimnis. Versprochen?“
    „Nach einer halben Minute schon ein gemeinsames Geheimnis – versprochen?“
    „Wie kamst du darauf?“
    „Ich hatte mal einen Verlobten, der hat wie du gesprochen. Und du? Warum kennst du den Unterschied zwischen dem badenser und dem württemberger Dialekt?“
    „Habe lange in Basel gelebt.“
    „Und jetzt?“
    „Ziehe ich hierher.“
    „Warum?“
    „Wegen dem Solothurner Kuchen.“
    „Wegen dem Solothurner Kuchen?“
    „Ja.“
    „Das stimmt doch nicht. Man zieht doch nicht wegen einer Torte in eine andere Stadt.“
    „Doch. Aber vielleicht auch wegen der reizenden, selbstbewussten badischen Frauen. Die gibt es in Basel nämlich nicht.“
    „Blödsinn. Die gibt es da wie Sand am Meer. Also: warum? Kannst dich da nicht mehr sehen lassen?“
    Breiter legte ihr sanft seinen Finger auf den Mund und schaute ihr streng in die Augen. Sie blickte starr zurück und beendete die Sache, indem sie kurz mit der Zunge gegen seinen Finger stieß.
    „Heiratest du mich?“
    „Warum sollte ich?“, fragte Breiter verdutzt.
    „Damit ich unsere Geheimnisse nicht ausplaudere … zum Beispiel.“
    „Das ist Erpressung.“
    „Stimmt. Nicht gut. Alsoooo … damit wir verlobt sein könnten.“
    „Das können wir auch so.“
    „Würdest du?“
    „Ich kenne dich ja gar nicht.“
    „Du könntest mich kennenlernen. So in etwa zwanzig Minuten.“
    „Warum in ‚etwa zwanzig Minuten‘?“
    Sie ging mit ihrem Mund ganz nahe an sein Ohr und flüsterte leise: „Weil dann die Polizei kommt und wir zwei vorher abhauen. Wo wohnst du?“
    „Hier im Hotel.“
    „Kann ich zu dir kommen?“
    „Hast du denn keine Wohnung?“
    „Doch, aber ich habe noch nie in einem so vornehmen Hotel übernachtet.“
    „Und am Morgen?“
    „Bitte.“
    Breiter beugte sich zu ihrem Ohr, was nicht weiter auffiel, da es in der Gaststube mittlerweile hoch zu und her ging. „Und warum weißt du, dass die Polizei kommt?“
    „Weil wir das mit ihr so abgemacht haben. Damit die Herren uns nicht allzu sehr an die Wäsche können.“
    „Ihr seid also gar keine …“
    „Nein, sind wir nicht. Wir arbeiten am Stadttheater, das hier ist ein Zubrot. Siehst du die Blonde mit den Bändern im Haar? Das ist Josie, ihr Verlobter arbeitet bei der Polizei. So geht das hier.“
    Breiter musste lachen. „Und bezahlt wird …“
    „… wird vorher. Klar, wir sind ja nicht dumm.
    Komm, wir hauen jetzt ab, es ist gerade so ein richtig schönes Puff, da bemerkt uns niemand.“
    Als sie bereits bei der Tür waren, bemerkte sie Schwaller und rief ihnen hintennach: „Richtig so, Breiter, richtig so, Sie sind ja schon fast ein Solothurner.“

 
    Die nächsten Tage verbrachte Breiter damit, sich von der Phonfam als Vertreter für Radios und Telefonzentralen anstellen zu lassen, mit dem neuen Geschäftslieferwagen – wieder ein Opel – seine Sachen von Basel nach Solothurn zu zügeln und in Elsies kleine Zweizimmerwohnung einzuziehen.
    Die ganze Nacht – die übrigens noch ein paar Tage Stadtgespräch war – hatten Breiter und Elsie miteinander geredet, gemeinsam gelacht und auch jeder für sich geweint. Und Breiter hatte zugesagt, sie zu heiraten.
    Wie Breiter wollte sie nie mehr einen Fuß auf deutschen Boden setzen. Ihr Vater, ein sozialdemokratisches Mitglied des Württembergischen Landtags, war nach der Machtübernahme der Nazis sofort in Schutzhaft genommen worden, zuerst im Lager Heuberg, nach dessen Schließung im Dezember 1933 in Dachau. Dort war er 1934 nach einem

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