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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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Großstadt, Kleinstadt, mittelgroße Stadt, Deutschschweiz, Romandie, Kulinarik, Lebensqualität und so weiter durchgespielt und entschied mich, als erstes Solothurn anzusehen. Das habe ich heute gemacht, und wie gesagt, es gefällt mir hier.“
    „Ist auch eine gute Wahl. Und mit diesem Tisch kennen Sie auch gleich die Männer, die hier etwas zu sagen haben. Was wollen Sie tun?“
    „Wohnung finden, Arbeit finden.“
    „Sie kennen Deutschland doch gut. Ich bin der Direktor der Pyramidenwerke. Wir machen Schrauben und Drehteile für alles Mögliche. Die rüsten doch auf da oben, die brauchen doch Schrauben en masse. Haben Sie da keine Verbindungen?“
    „Haben Sie jüdische Aktionäre? Wichtige jüdische Mitarbeiter?“
    „Nein.“
    „Gut. Sonst hätten Sie es gleich vergessen können.“
    „Sind die so scharf?“
    „Ja. Und dies nicht erst seit gestern. Und die Bürokratie ist enorm umständlich. Ich würde Ihnen davon abraten.“
    „Sie müssen es ja wissen.“
    „Ja, ich weiß es. Machen Sie Geschäfte mit den Franzosen, Engländern, Amerikanern, ja sogar mit den Russen, aber vergessen Sie Hitlers Leute.“
    „Gut.“
    „Entschuldigen Sie, es ist sicher nicht an mir, Ihnen Ratschläge zu geben. Entschuldigung nochmals.“
    „Schon gut, junger Mann. Sie waren ja da, nicht ich. Und was möchten Sie arbeiten, Herr Breiter?“
    „Vertreter, Kundenbesuche, das sind meine Stärken.“
    „Mich hätte vor allem Deutschland interessiert, aber warten Sie mal. Alfred, Alfred“, versuchte sich Georges Schwaller Gehör bei einem kleinen Mann mit Schnauzer, Stirnglatze und einem durch und durch freundlichen Gesicht zu verschaffen, „Alfred, ihr braucht doch gute Leute. Hier habe ich einen. Herr Breiter sucht Arbeit, Vertreter, Kundenbesuche.“
    Breiter nickte dem Mann zu. Der nickte freundlich zurück.
    „Das ist der Direktor von Phonfam, Telefone und Radioapparate. Die bauen aus, gerade erst wurde das neue Fabrikationsgebäude fertig. Wollen Sie?“
    „Ja sicher.“
    „Alfred, kann er sich bei dir vorstellen? Er versteht eine Menge vom Verkauf.“
    Der Mann, den Schwaller Alfred nannte, stand auf, ging um den Tisch herum und auf Breiter zu. Breiter stand auf, der Mann streckte ihm die Hand entgegen, Breiter nahm und schüttelte sie. „Alfred Nagel, freut mich, Herr Breiter. Wir suchen Leute mit Erfahrung. Melden Sie sich morgen nach dem Mittagessen bei uns und verlangen Sie nach mir. Aber jetzt genießen wir den Abend, nicht wahr?“
    „Ja, danke, ich werde mich melden. Danke.“
    Nagel ging wieder an seinen Platz und Breiter setzte sich mit einem unhörbaren Seufzer auf seinen Stuhl. Das Glück schien wieder nach ihm zu suchen.
    Weitere Flaschen Nuits-St.-Georges fanden den Weg an den Tisch, die Ambassadorenteller waren längst leergegessen, schmutzige Servietten lagen neben den Weingläsern, Zigarren, Pfeifen, Zigaretten waren angesteckt und Bestellungen für Kaffee, Armagnac, Cognac, Pflümli, Träsch und Chrütter aufgegeben. Fünf ältere Herren machten sich für den Aufbruch parat, Nagel schloss sich ihnen mit dem Verweis auf die sich häufende Arbeit an, und Schwaller legte Breiter die Hand auf den Arm und hieß ihn bleiben, eine dicke Überraschung würde noch folgen. Also blieb Breiter und harrte der Überraschung, die da kommen sollte.
    Kaum hatten die fünf Honoratioren die Gaststube verlassen, kamen acht junge, hübsche Frauen laut singend herein und stellten sich vor den Männern auf. Sie trugen alle eine modern geschnittene Tracht und sangen ein Lied, jede Zeile abwechselnd von einer anderen gesungen:
    Es lit es Stedtli wunderhübsch,
am blaue Aarestrand,
’s isch immer so gsi, ’s isch immer so gsi.
Es gugget der Sant Urseturm
wyt usen übers Land,
’s isch immer so gsi, ’s isch immer so gsi …
    Die Fräuleins schmetterten den Gassenhauer mit Inbrunst und legten zur Freude der Herrenrunde bei jedem „’s isch jo immer, immer, immer e so gsi“ Kleidungsstück für Kleidungsstück ab: angefangen bei den Hauben und Flachhüten, über die Schürzen, sodann entschnürten sie langsam, Reihe für Reihe, das Mieder, bis der ganze Rock rutschte, zu Boden fiel, die jungen Damen dem Wäscheknäuel entstiegen und mit nichts anderem als lose gebundener Unterwäsche, weißen Kniestrümpfen und geklöppelten oder schwarzseidenen Halbhandschuhen bekleidet, dem einen oder Anderen Herrn auf den Schoß stiegen, an den Bärten und Schnauzern zupften und sich zu Champagner und Wein einladen

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