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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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Ebenbild des Direktors geschaffen wurde, befand der Beelzebub. Denn da fehlte noch was, um wirklich ein Ebenbild zu sein: die Erkenntnis. Sie kennen die Geschichte ja, nicht wahr, Herr Breiter?“
    „Ja, Herr Pfarrer, sonst wären wir ja nicht hier. Also zumindest der Kirche nach.“
    „Genau. Wo war ich stehengeblieben?“
    „Bei der Erkenntnis.“
    „Sie sind ein guter Zuhörer. Kommen Sie doch öfter vorbei. Also …“
    „Die Erkenntnis.“
    „Ja, genau, die Erkenntnis, Herr Breiter, nun die steckt bekanntlich in den Äpfeln. Und da der Beelzebub wusste, dass Eva die Klügere war, probierte er es an ihr aus und siehe da; sie stieg auf die schrumpelige Frucht ein. Und Gott, als er es bemerkte, war erst mal wütend auf seinen Kompagnon, aber das durfte er natürlich nicht zeigen, schließlich war es ja sein Kompagnon. Alsdann warf er zuerst Adam und Eva raus und belegte sie mit dem Joch der Welt.
    Seinen Kompagnon schmiss er wenig später raus, hatte dieser doch eigenständig und ohne Rücksprache gehandelt, und das durfte nicht sein. So, und seit dem Fall Luzifers müssen wir Menschen der Unmündigkeit folgen, um Gott zu huldigen und den Verstand gebrauchen, um den Teufel zu bändigen. Ein schier unlösbares Dilemma, finden Sie nicht, Herr Breiter?“
    Breiter zog es vor, nichts zu sagen. So wie er Zwingli aus Furcht vor möglichen Debatten nicht in seinen Stammbaum aufnahm, so hielt er auch jetzt besser den Mund.
    „Stellen Sie sich einmal vor, wie der Teufel sich seit zehntausenden von Jahren fühlen muss? Verleumdet, der Propaganda ausgesetzt, tausendfach gedemütigt, an den Pranger gestellt, fortwährend beschimpft und bespuckt. Auf diese Weise wird man nicht zum Wohltäter der Menschheit. Das ist ein kurzer Weg vom Schwefelholz zum Flächenbrand. Irgendwie verständlich, finden Sie nicht, Herr Breiter, wenn man tagein, tagaus für das Böse verantwortlich gemacht wird?“
    Breiter nickte einfach. Er war sich jetzt sicher, dass der Pfarrer sich für ihn einsetzen würde.
    „Und das Beste ist: Gott hat ihm einfach die Menschheit mit all ihren Unzulänglichkeiten zugeschoben und sich mir nichts, dir nichts aus der Verantwortung gestohlen. Gut, er hat mal seinen Sohn geschickt, der das Gute und Barmherzige predigte. Aber auch den hat er im Stich gelassen und so seine Macht demonstriert und gefestigt. Es ging ihm letztlich nur darum.“
    Der Pfarrer trank einen Schluck und fuhr fort.
    „Ja, und der Beelzebub?, fragen Sie sich jetzt, nicht? Nun, der arme Teufel sitzt mit der ganzen Verantwortung da und weiß sich langsam nicht mehr zu helfen, während der alte Herr die Hände reibt und mit seinem Gefolge von Lobpreisung zu Lobpreisung, von Opfergabe zu Opfergabe schreitet. Wahrlich, eine verkehrte Welt.“
    „Ja“, seufzte Breiter und griff eigenständig zur Flasche und schenkte sich nach. Der Pfarrer, der dies sah, blickte Breiter scharf an, Breiter verstand, schenkte dem Pfarrer ebenfalls nach und lehnte sich zurück.
    „Und jetzt werden Sie sich sicher fragen: Was ist denn Gott?“
    „Furcht?“, fragte Breiter kleinlaut zurück.
    „Das Gegenteil: Hoffnung. Aber nur Hoffnung, die auf uns selbst baut und die uns selbst traut. Also keine Kirche, keine Religion, keine Astrologie oder sonst ein Hokuspokus, Herr Breiter. Einfach man selbst sein, dem eigenem Menschsein vertrauen.“
    „Ja, aber …“
    „Es ist so. Und wenn Ihr ‚Aber‘ die Frage sein sollte, warum ich Pfarrer geworden bin, ich, der der Religion nicht traut und den Teufel bemitleidet? Nun, Herr Breiter, es ist ein riesiges Privileg, sich täglich mit diesen Fragen auseinandersetzen zu dürfen. Darum, verstehen Sie?“
    Breiter nickte.
    „Und weil ich mit diesem Amt Hoffnung geben und wenn es sein muss, ihr manchmal auch ein wenig auf die Sprünge helfen kann.“
    Der Pfarrer griff zum Glas und prostete Breiter zu: „Sie müssen das Böse nicht mehr sehen, Herr Breiter, ich rede mit dem Kreiskommandanten. Sie haben sich genug gefürchtet. Sie müssen nicht nochmals eingepfercht werden, mit all diesen Fragen nach Gut und Böse und nach Gott und Teufel.“
    „Danke Herr Pfarrer. Sie geben mir Hoffnung zurück.“
    „Ich bin ganz erschöpft. Sie können die Flasche noch leeren, wenn Sie wollen. Ich verabschiede mich jetzt.“ Sagte es und stand auf.
    Breiter stand auch auf. Der Pfarrer reichte ihm die Hand, Breiter schüttelte sie und bedankte sich, der Pfarrer verließ das Zimmer und Breiter sank in den Sessel zurück, schenkte sich

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