Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
Vom Netzwerk:
Jura?“
    „Ja, im Jura.“
    „Darf ich mal erfahren, was meinem Überraschungsjacques in letzter Zeit so alles durch das Hirn gespukt ist?“
    „Ach ja, gekündigt habe ich auch.“
    „Waaas?“, rief sie aus, „ja und wovon sollen wir leben? Von meinen Rollen? Vergiss es. Und wenn der Krieg kommt, ist es sowieso vorbei mit Theater.“
    „Eben.“
    „Eben? Eben? Spinnst du jetzt ganz?“
    Jacques trat scharf auf die Bremse, Elsie schlug es beinahe in die Windschutzscheibe, er fuhr rechts auf eine Ausweichstelle, hielt an und schaltete den Motor aus.
    „Ja, genau, eben. Elsie, jetzt denk mal nach. Es ist doch nur noch eine Frage der Zeit, bis der Sauhund da drüben ganz groß zuschlägt. Vor drei Monaten hat er sich nach Österreich und dem Sudetenland auch noch die Resttschechoslowakei geholt. Der ist bei Weitem noch nicht fertig. Was meinst du, wie lange die dort drüben schon Uniformen fabrizieren, wie viele Maschinen umgerüstet werden und in wie vielen harmlosen Textilfabriken Munition und Anderes hergestellt wird. Und die Unsrigen wissen das. In Basel wurden die Minen in den Brücken geladen, Biel will Fliegerabwehrkanonen auf die Dächer stellen und fordert ehemalige Artilleristen und Mitrailleure auf, sich beim Kommando zu melden, und der Bundesrat debattiert, den Grenzschutz gleich mit einer Teilmobilmachung von 80.000 Mann zu verstärken. Also müssen auch wir mobil machen, damit wir nicht mobil gemacht werden.“
    „Du, nicht ich. Ich Frau, falls du das noch nicht gemerkt hast.“
    Breiter lächelte und schaute ihr unübersehbar ins Dekolleté. „Ich habe bereits vorgesorgt. Der St. Ursen-Pfarrer hilft. Kennst du ihn? Ein schräger Vogel.“
    „Nein, nur ein paarmal gesehen. Aber weiter. Wenn es Krieg gibt, nehmen sie uns das Auto, du hast keine Arbeit, folglich ziehen sie dich am Schluss trotzdem ein. Außer – vielleicht, du wärst Bauer oder so.“
    „Bauer?“
    „Oder so?“
    „Bauer!“ Breiter packte Elsie und drückte ihr einen langen, feuchten Schmatz auf den Mund.
    „Bauer, das ist es Elsie. Los geht’s, jetzt kaufen wir ein Haus und drei Kühe“, sagte er, startete den Motor, schwenkte mit quietschenden Reifen auf die Fahrbahn aus und raste mit dem Ausruf „jetzt zeige ich dir mal, wie Caracciola zu seinem Bauernhof fährt“ durch die Taubenlochschlucht über Tavannes und Tramelan nach Saignelégier.
    Elsie lachte und kreischte anfänglich, dann wurde es ihr zunehmend mulmig, sie forderte ihn noch ein paarmal vergebens auf, langsamer zu fahren, verstummte allmählich und verschwand, kaum parkte Breiter den Wagen vor dem Hôtel de ville von Saignelégier, hinter die nächste Hecke eines Vorgartens und übergab sich. Breiter pflanzte sich derweil neben dem Automobil auf, steckte sich eine Zigarette an und genoss die bewundernden Blicke der um den Citroën herumstreichenden kleinen Lausbuben, die ihn immer wieder etwas auf Französisch fragten, was er aber nicht verstand, und so lächelte er einfach zurück.
    Elsie bemerkte er erst, als sie knapp vor ihm stand, ihm vor den versammelten Jungs mit der Faust auf die Brust schlug, „Arschloch“ zischte, was nun zwar die Buben dem Wortlaut nach nicht, aber dennoch ganz genau verstanden und mit übertriebenem Gelächter quittierten. Elsie verbeugte sich vor den Jungs, kehrte mit großer Geste auf dem Absatz um und ging geradewegs ins nächste Café. Breiter blieb nichts Anderes übrig, als ihr unter dem Spott der Schulbuben gottergeben zu folgen.
    „Warum bist du so zornig?“, fragte Breiter, als die Bedienung sich vom Tisch entfernt hatte. Ein schlechter Anfang, wie er gleich merken sollte.
    „Zornig? Ich zornig? Nein, nein, ich bin nicht zornig. Vielleicht ein klitzekleinwenig indigniert, man sagt doch so, vielleicht auch ein bisschen verstört, Breiter, wenn ich bedenke, was mir soeben widerfahren ist. Mein Ehemann eröffnet – nach herrlich romantischem Mitternachtsbad im See, das muss man ihm zugutehalten, immerhin – also mein Ehemann kommt mit einem teuren, nigelnagelneuen Wagen, eröffnet mir, dass er gekündigt habe, dass ich mein Brot fürderhin mit Kühe hüten und Wintergemüse jäten verdienen solle und dann rast er dermaßen über Schotterwege, dass ich am Ende der Reise, die mich doch zu meinem Glück führen sollte, nur noch aus dem Wagen stürmen kann, um in den nächstbesten Busch zu kotzen. Nein, nein, ich bin wieder ganz heiter, Jacques … sagen wir: indigniert heiter, mein Lieber.“
    Die Bedienung kam,

Weitere Kostenlose Bücher