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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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Breiter zurück, packte alles ein, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Auto.
    „Aber wir haben es, Jacques, wir haben es.“
    „Ja, wie du ja selbst gesehen hast: Es war mehr als nur ein halbes Kilo. Es waren vierundzwanzig … nein er war kein armer Schlucker, er war ein reicher Fabrikant … ja, er war Jude … er ist in Norwegen … nein, es war ein Geschäft … es ist einfach dumm gelaufen … nein, Charlotte hatte nichts damit zu tun … ich nehme an, in Amerika … ein halbes Kilo gehört mir … nein, das reicht nicht für ein Haus im Jura … wozu ein Auto, wir haben ja das von der Firma … ja, ja, irgendetwas werden wir schon machen … ich habe noch ein anderes Problem … wenn ich es gelöst habe.“
    So ging es zu und her in der engen Fahrerkabine des Opel Lieferwagens in dieser Samstagnacht, in der ein kräftiger Dreiviertelmond schien und nicht allzuviel von den Sternen zu sehen war. Manches laute Wort übertönte der Lärm des 1,2-Liter-Motors und der rumpelnden Außengeräusche, welche die löchrigen Schotterstraßen über den Chall und den Passwang Passagieren und Fahrzeugen aufzwangen.
    Zu Hause angekommen, wartete Breiter, bis Elsie schlief und versteckte danach die dreiundzwanzig Goldbarren und den einen aus dem Socken unter der Kellertreppe.
    Am anderen Morgen ging er zur St. Ursen-Kathedrale, um auf den Pfarrer zu treffen. Der verabschiedete gerade die Messebesucher unter dem Kirchenportal per Handschlag. Breiter stellte sich in die Reihe und konnte ein Gespräch mit ihm am späteren Nachmittag vereinbaren.
    Die alte Probstei, die sich direkt unterhalb der Kathedrale befand, war ein stattlicher Sitz mit Innenhof und einem großen, englischen Garten, der am unteren Ende von der St. Peterskapelle abgeschlossen wurde. Eine Haushälterin öffnete Breiter die Türe, über der ein stolzes Wappenschild, umrahmt von zwei gut berockten Herren mit Schriftrollen, thronte und bat ihn kurz zu warten. Zwei große Ölschinken dominierten die Empfangshalle. Auf der einen Seite hing das Porträt eines Bischofs vergangener Tage, wohl als sich die Kirche noch mit den Patrizierfamilien um die Vorherrschaft in der Stadt gestritten hatte, auf der anderen Seite eine Kreuzigungsszene, bei der außer Jesus nur noch Maria Magdalena ein wenig Licht abbekam.
    „Sie habe ich noch nie nach dem Ende der Messe verabschiedet“, begrüßte der Pfarrer Breiter mit einem kräftigen Händedruck. Er roch nach Messwein, Rotwein und Kaffee-Schnaps.
    „Aber Sie haben sich heute Morgen in die Reihe der Gläubigen geschmuggelt, nicht? Das macht nichts, wir haben für alle Anliegen ein Ohr, dafür sind wir da, dafür werden wir ausgehalten“, schmunzelte er und führte Breiter in einen Salon mit einem großen Kamin, einer mächtigen Bibliothek aus Walnussholz und wiederum zwei Porträts von Bischöfen, die mal strenger, mal milder die Geschicke der Gemeinde und Diözese geführt haben.
    „Ich weiß, wer Sie sind, obwohl Sie noch nicht lange hier sind und noch nie am Sonntag in der Kirche waren. Sie kamen vor etwa einem halben Jahr in die Stadt, nahmen an dieser denkwürdigen Nacht teil, die das Geschwätz von Solothurn tagelang befeuerte, haben von heute auf morgen eine Teilnehmerin besagter Nacht geheiratet und verkaufen jetzt die Radioapparate vom Nagel, damit das Volk den Bundesrat zu jeder Tag- und Nachtstund hören kann. Stimmt’s?“
    Breiter war überrascht, wollte etwas sagen, aber der Pfarrer winkte ab.
    „Sagen Sie nichts, Sie können ja nichts dafür und ob es gescheit ist, dass das Volk den Bundesrat oder auch unseren Papst jederzeit hören kann, wird die Zeit entscheiden. Nun, ich habe meine Zweifel. Also, was führt Sie zu mir, Herr Breiter, stimmt doch, so stand es zumindest im Amtsblatt, die Heiratsanzeige, mit, mit Elsie, Elsie Hauser, stimmt’s? Warum sind Sie eigentlich nicht zu mir gekommen? Sind Sie reformiert? Sind Sie wohl nicht, sonst wären Sie ja jetzt nicht hier, stimmt’s?“
    Breiter schaute den Pfarrer von oben bis unten an. Ein kahler Kopf mit einem hageren Gesicht, leichte Spuren des Wetters, vielleicht ein Bergler, Knollennase und eine altertümliche Brille, die Gläser dermaßen verdreckt, dass die Pupillen nur schwer auszumachen waren.
    Der Pfarrer pfiff eine zerbrochene Melodie durch die Zähne und murmelte dann: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach … aber lassen wir das, wir nehmen jeden, auch Toggenburger, Sie sind doch Toggenburger, also was führt Sie

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