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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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zu mir?“
    Dem darfst du keine Sekunde Pause geben, der schwatzt dich sonst zu, dachte Breiter und hob an: „Hochwürden …“
    „Das können Sie auch gleich lassen, ich bin weder Würden, noch weiß ich, ob ich Ihrer würdig bin und ein wenig höher hätte mich der Herrgott durchaus machen dürfen. Also, worum geht es?“
    „Ich kann nicht zum Militär.“
    „Sie können nicht zum Militär?“
    „Ja.“
    „Und warum kommen Sie damit zu mir?“
    „Weil ich nicht wüsste, an wen ich mich wenden könnte mit dem ‚Warum ich nicht zum Militär kann‘.“
    „Ist es schlimm? Kompliziert? Oder sogar skandalös?“ Der Pfarrer zog an der Schnur. Irgendwo im weitläufigen Haus klingelte ein Glöcklein und ehe Breiter weiterreden konnte, stand die Haushälterin in der Tür und fragte nach den Wünschen des Herrn Pfarrer.
    „Bringen Sie uns eine Flasche Roten, Erna, aber keinen Spital- und keinen Messwein – einen Burgunder oder noch besser, einen Bordeaux.“
    Erna knickste knapp. Breiter hatte noch nie so viele Knickse gesehen wie in dieser Stadt – nicht einmal in St. Moritz, und da waren die Blaublüter ja oft in Rudeln aufgetreten. Die Tür fiel ins Schloss.
    „Kompliziert, Herr Pfarrer, kompliziert.“
    „Schade, ich hoffte schon auf skandalös. Also dann, erzählen Sie!“
    „Sehen Sie, ein Pfarrer hat mir schon einmal geholfen, als ich noch ein Kind war, auch damals war es kompliziert, im Nachhinein vielleicht nicht mehr, aber, sagen wir zerfahren, nein festgefahren, und der Pfarrer hat mich gerettet, wirklich gerettet, sonst säße ich jetzt nicht hier. Ja vielleicht gäbe es mich auch gar nicht mehr. Wer weiß das schon.“
    „Zwingli wird’s wohl nicht wissen, stimmt’s?“, lachte der Pfarrer.
    Breiter musste schmunzeln. „Sicher nicht, es war selbstverständlich ein katholischer Pfarrer, und er brachte mich in die Obhut des Klosters in St. Gallen. Was letztlich mein Glück war.“
    „Und, wie sind sie, die St. Galler Chorstuhlfurzer? Oh, entschuldigen Sie, aber manchmal, am Heiligen Sonntag, wissen Sie, da sieht man die Menschen in der Kirche, sieht ihre Fassaden, sieht die herausgeputzten Kleider der Vermögenden in den ersten Bankreihen. Kleider, die nur sparsame Bewegungen zulassen, die den Träger dadurch bedacht und vornehm erscheinen lassen. Sieht die Menschen auf den hinteren Bänken, die in unzählig oft geflickten Sonntagsanzügen und mit Papier ausgestopften Schuhen entschlossen eine Form von Würde vermitteln. Aber das kümmert die vorderen sieben Bankreihen überhaupt nicht, im Gegensatz zu den hinteren, die nur eines im Sinn haben, nach vorne zu kommen. Wie komme ich darauf?“
    „St. Gallen.“
    „Genau, St. Gallen. Das kümmert die Patres auch nicht, sie geben sich mit den vorderen Reihen ab und die Hinterbänkler geben sie an die Chorstühler, die einfachen Brüder, ab. Gleich zu gleich. So funktioniert das älteste Kloster Europas, so funktioniert die Kirche und so funktioniert der Vatikan, Herr Breiter, so funktioniert die Welt. Und die Hinteren kommen nicht nach vorne, weil die Vorderen dies zu verhindern wissen. Und eine Revolution können Sie sich auch gleich aus dem Kopf schlagen, Herr Breiter, das ist nichts Anderes, als einen richtig lauten Kracher in einen Hühnerstall zu schmeißen. Wenn es kracht, fliegen alle Hühner von der Stange, flattern eine Zeit lang verstört umher, aber irgendwann sitzen sie wieder alle auf der Stange, anfänglich in anderer Reihenfolge, aber auch die wird ein paar Tage später wieder die alte sein. Das Einzige, was bleibt: Alle haben ein bisschen Federn gelassen. Aber lassen wir das, ich habe Sie unterbrochen, Herr Breiter. Wo bleibt eigentlich der Wein, das ist ja nicht zum Aushalten.“
    Er zog an der Kordel und gleichzeitig öffnete sich die Türe und Erna stellte beiden ein dumpfes Kristallglas hin und schenkte ein.
    „Danke Erna, Sie können gehen, genießen Sie noch den Sonntag.“
    Erna verabschiedete sich knicksend und wortlos.
    „Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, St. Gallen, bitte verzeihen Sie. Also, die haben Sie gerettet, ja?“
    „Ja.“
    „Gut, lassen wir die St. Galler, aber warum können Sie nicht in die Armee. Wie alt sind Sie?“
    „Zweiunddreißig.“
    „Ja, mmmh, da kommen Sie schon noch dran, wenn der andere Sauhund da drüben so weiter macht.“
    „Eben. Und der wird so weitermachen. Glauben Sie es mir, Herr Pfarrer. Ich weiß es.“
    „Woher wollen Sie das wissen?“
    „Ich war dort. Über zwei Jahre.

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