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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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„loswerden“ jammerte. Dann winkte er Breiter heran und als er bei ihm war, umarmte er beide innig und fest, ließ plötzlich los, stand auf, wischte sich mit dem Ärmel das tränen- und rußverschmierte Gesicht sauber und fragte Breiter: „Hast du das Geld dabei?“
    Breiter nickte.
    „Gut, dann gehen wir zum Notar.“
    „Und das Feuer?“
    Er zeigte auf Elsie: „Sie soll dableiben und aufpassen.“
    „Aber …“
    Elsie machte Breiter ein Zeichen, dass es gut sei, und so gingen die beiden Männer zum Notar und regelten den Haus- und Landverkauf.
    Zum großen Erstaunen Breiters ging alles ruhig und sachlich über die Bühne, Vincent nickte alles ab und nach dem Besuch beim Katasteramt, wo die Grundstücke umgeschrieben wurden und Breiter sich nochmals versicherte, dass die Immobilien nicht doch noch anderweitig belastet waren, fuhren sie wieder zurück. Elsie saß immer noch brav auf einem Stuhl und bewachte den Gluthaufen.
    Vincent sprang aus dem Wagen, ging wortlos an Elsie vorbei, ins Haus, man hörte ihn rufen „adieu, tu salaud“, kam mit einem Koffer und einem Rucksack aus dem Tor hinaus, ging auf Elsie zu, gab ihr einen Kuss auf die Wange, ging zu Breiter, drückte ihm einen großen Schlüsselbund in die Hand, schüttelte sie flüchtig, boxte ihn auf die Schulter, lachte laut und marschierte mit weit ausholenden Schritten seinem neuen Leben entgegen. Breiter und Elsie schauten ihm fasziniert und erleichtert hinterher, bis er beim kleinen Tannenwäldchen um die Ecke verschwand. Sie sollten ihn nie wieder sehen.
    Sie brauchten noch einen Moment, um diesen Vincent zu verdauen und dann entschlossen sie sich, das Haus abzuschließen und gleich nach Solothurn zurückzufahren, sich einen letzten Ambassadorenteller zu gönnen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
    „Wo sind eigentlich die Kühe?“, wunderte sich Elsie und schob den halbvollen Teller von sich weg. „Ich mag nicht mehr. Irgendwie, dieser Vincent. Hoffentlich steht das Haus nicht unter einem unglücklichen Stern.“
    „Auf der Weide, nehme ich jetzt mal an.“
    „Und wo ist die Weide?“
    „Die geht bis hinter den kleinen Hügel.“
    „Die Kühe waren doch im Preis drin?“
    „Ja, natürlich.“
    „Habt ihr das beim Notar auch festgehalten?“
    „Ja, per Handschlag.“
    „Ich habe kein gutes Gefühl. Was machen wir da, Jacques? Wir sind keine Bauern. Weißt du, wie man melkt?“
    „Ja, ich musste das als Kind immer machen. Solange Vater die Kuh noch nicht versoffen hatte.“
    „Trotzdem. Und wenn sie kalbt?“
    „Es gibt Tierärzte.“
    „Würdest du merken, wenn eine kalbt? Also ich nicht.“
    „Das würden wir schon merken.“
    „Die brauchen doch Kälber, damit sie Milch geben, oder?“
    „Ja.“
    „Das heißt, wir bräuchten auch einen Stier, oder?“
    „Es gibt Besamer.“
    „Die kommen und machen?“
    „Genau.“
    „Aber das Kalb trennt man dann von der Mutter, wegen der Milch, nicht?“
    „Ja.“
    „Wann?“
    „Ich weiß es nicht. Machen wir das oder machen wir es nicht? Wir können die Leute fragen oder Bücher lesen. Elsie, wir haben jetzt ein Haus mit zwei Kühen, wir müssen da hoch zügeln, wir müssen das Haus herrichten, diesen Gestank rausbringen, Holz für den Winter anlegen, Leitungen kontrollieren und, und, und. Wir müssen machen, das Leben als Ziel nehmen und nicht das Ziel als Leben.“
    „Dies sagst gerade du. Für dich gibt’s ja nur Ziele: Geld, Auto, Haus, weg vom Militär, Kühe – zack, zack, zack. Mein Gott Breiter, warum dieses Tempo?“
    „Weil ich nicht weiß, ob es mich morgen noch gibt. Elsie, ich habe mich über zwei Jahre ins Bett gelegt und mir gedankt, dass es mich noch gibt und habe mir Glück gewünscht, dass ich mich bei mir am nächsten Abend wieder bedanken kann. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Und du übrigens auch nicht.“
    „Ja, ja, ich weiß, Jacques Breiter.“
    „Ja, ja, Elsie Hauser. Und wir müssen an Tempo zulegen. Bald ist Krieg, glaub mir.“
    „Gut, wie fangen wir an?“
    „Zügeln organisieren, Wände ausbessern, nachweißeln, Wasserleitungen, Kühe.“
    „Wer macht was?“
    „Du die Kühe, ich den Rest.“
    „Das sieht dir wieder gleich. Aber gut, warum nicht, bringen wir den Kühen Shakespeare, Goethe und Horvath bei.“
    „Danke.“
    „Ist das alles?“
    „Welche hübsche Frau bekommt schon von ihrem Ehemann zwei Kühe geschenkt?“
    „Ja, ja, Jacques Breiter.“
    Zurück in Les Chenevières mit Kalkanstrich, Pinseln, alten Unterröcken, die

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