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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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gehalten wurden.
    Im runden Tor erschien ein Berg von einem Mann in Gummistiefeln, grüngrauer Hose aus grobem Zwillich, einer Jacke, selbe Farbe, selber Stoff, gebleicht, mit blondgrauem Lockenhaar, einem mächtigen Schnauzer, der Rest des Gesichts unrasiert und im Mund eine Boyards aus gelbem Maispapier.
    Breiter war beeindruckt von der Erscheinung, ja sogar leicht verängstigt, hatte es doch im Lager auch so einen Hünen unter den Aufsehern gegeben, der immer freundlich war, sie anständig behandelte, bis er eines Tages wegen einer nicht sauber geputzten Treppe vollkommen ausrastete und den verantwortlichen Häftling halb totschlug.
    Derweil war Elsie bereits auf den Mann zugegangen, der sich als Vincent vorstellte und in schweizerdeutschem Französisch mit württembergischem Einschlag etwas von Haus und Land radebrechte.
    Der Bauer kaute auf seiner Boyards, schaute Elsie lange an, blickte dann zu Breiter hinüber und sagte in einem schwerfälligen Berndeutsch: „Wenn der Preis stimmt.“
    Breiter machte einen Schritt auf den Kerl zu, schüttelte ihm die Hand, stellte sich als Jacques Breiter vor und fragte ihn: „Ja, was wäre denn der Preis?“
    „Toggenburger, nicht? Die können bauern. Aber kannst du es noch, Jacques?“
    „Gelernt ist gelernt.“
    „Dann musst aber andere Schuhe anziehen.“
    „Mir gefällt Ihr Haus. Wie viele Zimmer hat es denn?“, ging Elsie dazwischen.
    „Weiß nicht … glaub fünf.“
    „Darf ich es mir mal ansehen?“
    „Mmmh … wollt ihr wirklich kaufen oder seid ihr so gspinnerte Städter?“
    „Wir wollen wirklich kaufen“, sagte Breiter, „auch wenn wir jetzt noch nicht ganz den Eindruck breitstämmiger Bauern machen.“
    „Und warum wollt ihr
jetzt
kaufen?“
    „Warum wollen Sie
jetzt
verkaufen?“
    Der Bauer nahm die Boyards aus dem Mund, spuckte zur Seite und brummelte: „Also kommt rein.“
    Elsie übernahm das Gespräch mit Vincent. Breiter war es recht, mit dem Kerl wollte er so wenig wie möglich zu tun haben. Das Haus und die Zimmer hatten seit über hundert Jahren, gelinde gesagt, keine ordnende Hand mehr gesehen. Die Luft war so alt, als hausten Napoleons Truppen samt Schweinen, Ziegen, Knochenschlossern und Huren noch hier. Doch es hatte Charme, und dachte man sich das ganze Gerümpel weg, war durchaus etwas daraus zu machen. Was Elsie im Geiste bereits tat.
    Am Ende des Rundgangs durch Haus und Stall bot Vincent ihnen Absinth an. Schwarzgebrannt, aus dem Val de Travers, der Beste, wie er ihnen versicherte. Breiter nahm so wenig wie möglich und stieß Elsie mehrmals unter dem Tisch an, die schien aber von der Grünen Fee angetan. Sie schlug einfach zurück. Irgendwann kamen sie dann doch auf den Preis zu sprechen: 28.000 Franken wollte Vincent für Haus, zwei Hektar Weideland und etwa ein Hektar Wald, „dort unten, am Doubs“.
    Breiter rechnete, zählte noch die Kässelis dazu, erkundigte sich nach dem Preis von Kühen – „oh, das käme ganz auf die Kuh, den Verkäufer und vor allem auf den Käufer an“ – und machte Anstalten den Preis für den Hof herunter zu handeln. Doch Vincent hob die Hand, sagte laut: „Achtundzwanzigtausend oder gar nicht“, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, was einen lauten Knall, Breiters wie Elsies Erschrecken und Vincents Gelächter nach sich zog.
    „Gut“, sagte Breiter.
    „Gut“, sagte Vincent.
    „Wir kommen morgen wieder, dann regeln wir alles unter uns und dann gehen wir zum Notar.“
    „Gut.“
    Breiter erhob sich, Vincent ebenfalls, Breiter streckte ihm die Hand hin und Vincent schlug schließlich kräftig ein.
    Als sie am anderen Tag auf das Haus zusteuerten, sahen sie ein Riesenfeuer. Schränke, Kommoden, Tische, Stühle und anderes Mobiliar waren auf einem lichterloh brennenden Haufen auszumachen.
    Vor dem Feuer tanzte Vincent mit einer Flasche Schnaps in der Hand, fluchend, brüllend und hysterisch lachend einen Veitstanz. In kurzen Abständen schmiss er mit wilden Gesten den Rest des Hausrats ins Feuer und schrie dazu „voilà, tu salaud“ oder „pour toi, con“.
    Elsie sprang aus dem Wagen auf ihn zu, nahm ihm die Schnapsflasche aus der Hand und warf sie ins Feuer, gleich darauf explodierte sie, während Breiter aus dem Unrat einen Stuhl zog und Elsie den Riesen darauf setzte. Vincent fiel in sich zusammen, aus zwei Meter und hundertdreißig Kilogramm Mann wurde im Handumdrehen ein kleines Häufchen schluchzendes Elends, das sich an Elsie schmiegte und etwas von „Befreiung“ und

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