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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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servierte die beiden Kaffees und verschaffte Breiter so ein wenig Bedenkzeit. Als sie sich vom Tisch entfernte, rührte Breiter den Zucker in der Tasse um, lehnte sich zurück, leckte den Löffel aufreizend ab und sagte mit gespielter Bewunderung in der Tonlage: „Das war ein eindrucksvoller Monolog, Elsie.“
    Elsie war überrascht, so dass sie zuerst lachen musste, dann wiederum erzürnte, ihm den Kaffeelöffel an den Kopf schmiss und schließlich zu weinen anfing.
    Mist, dachte Breiter, warum, warum sagst du immer wieder das, wonach es dich gerade gelüstet. In Dachau hast du doch gelernt dem zu widerstehen. Heilandsack, jetzt denk zweimal nach, was du sagst. Setzte sich neben Elsie, versuchte sie sachte in den Arm zu nehmen, ignorierte ihr Sträuben und strich ihr schließlich sanft über ihr blondes Haar.
    Als ihr Schluchzen nach und nach abklang, drückte er sie fest an sich und sagte: „Wir haben es, hast du gesagt. Irgendwann fand ich, du hast Recht. Und ich will nicht, dass wir getrennt werden, dass ich als Kanonenfutter, als Ersthindernis irgendwo am Rheinufer zwischen Basel und dem Bodensee mit einem Karabiner auf dem Schoß die Grenze zu Deutschland bewachen, in einer stinkigen Turnhalle mit hundert Anderen schlafen und mich von irgendwelchen Dummköpfen mit wippendem Gang monatelang herumkommandieren lassen muss. ‚Wir haben es‘, ging mir immer wieder durch den Kopf, ich entschied mich, die Dinge in die Hand zu nehmen, der Pfarrer erklärt dem Kreiskommandanten, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen in Dachau nicht wehrdiensttauglich bin, das Auto schafft Unabhängigkeit, die wir aber im Kriegsfall verteidigen müssen und deine Idee vom Bauernhof ist genau das, was uns unentbehrlich machen könnte. Also, was noch fehlt, ist ein Haus und Kühe. Nur so können wir zusammenbleiben, Elsie.“
    Breiter gab ihr sein Taschentuch, Elsie wischte sich die Tränen aus ihren blaugrauen Augen, schnäuzte ihr Stupsnäschen, schluchzte noch zweimal nach und seufzte: „Aber das Gold gehört doch nicht dir.“
    „Richtig, bis auf einen Barren, den anderen habe ich verloren, als sie mich erwischt haben. Aber: Als ich das Gold vergraben habe, bezahlte die Nationalbank pro Kilo 3.430 Franken. Heute bekommst du 4.870 Franken dafür.“
    „Warum so viel mehr?“
    „Weil sie den Franken 1936 abgewertet haben, also ging der Goldpreis hoch.“
    „Und du meinst?“
    „Als ich das Gold geschmuggelt und vergraben habe, war es alles in allem etwa 82.000 Franken wert. Heute sind es knapp 117.000 Franken. Mayer hat also Anrecht auf 82.000 minus ein Barren, also etwas weniger als 79.000. Das muss ich ihm zurückgeben, also rund sechzehn Barren. Der Rest gehört irgendwie mir. Ich hab es gut verwaltet, kann man sagen. Und zudem war ich im KZ dafür, Gopferdammi.“
    „Also, wart mal, 35.000 gehören irgendwie uns?“
    „Irgendwie ja.“
    „Das ist viel Geld.“
    „Ja.“
    Elsie drückte ihm einen Kuss auf die Lippen und sagte leise: „Irgendwie gut, Jacques.“
    Er küsste ihren Mund mit der leicht hochgezogenen Oberlippe zurück. Als er die Lippen löste, fragte sie bestimmt: „Und jetzt?“
    „Haus und Kühe!“
    „Und warum in dieser Gegend?“
    „Weiß ich eigentlich auch nicht. Kommt mir irgendwie beschützter vor mit dem Französisch, der Höhe und rundherum geht’s bergab.“
    Sie lächelte: „Irgendwie.“
    „Ja. Irgendwie.“

 
    Nachher gingen sie quer hinüber auf das Gemeindeamt, fragten nach zu verkaufenden Häusern, bekamen den Amtsanzeiger in die Hand gedrückt und den Tipp, auf den Höfen rund um Saignelégier herumzufragen.
    Im Amtsanzeiger fanden sie drei Höfe, ein paar Häuser sowie drei Mietwohnungen. Günstig, wenn nicht geradezu billig im Vergleich zu Solothurn, wie sie befanden. Sie machten sich auf zum ersten Hof, der viel zu groß war, acht Hektar, dazu noch Pferdezucht, und das Geld wäre mehr als weg gewesen.
    Der nächste Bauer hatte sein Land ziemlich weit entfernt vom Hof und beim dritten war Elsie der Bauer unsympathisch. Sie hatte das Gefühl, sie würden von ihm über den Tisch gezogen. Aber er gab ihnen eine Adresse in Les Chenevières.
    Es war ein klassisches, jurassisches Bauernhaus: dicke Mauern, weißer Kalksteinverputz, kleine Fenster, Tür- und Fensterstürze aus unregelmäßig behauenem, beigen Sandstein, ein großer Torbogen in der Mitte sowie kastanienbraune Bretter als Fensterläden, die von einer hölzernen Stange, deren Enden in einem Lederriemen steckten, offen

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