Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
Vom Netzwerk:
Weg dann auch in die andere Richtung öffnen.“
    „Schmuggel?“
    „Nicht wirklich.“
    „Wie wirklich?“
    „Die brauchen auch Dinge, die sie nicht haben, die aber wir haben. Und wenn die Deutschen da sind, sowieso.“
    „Du meinst, die kommen wirklich?“
    „So sicher wie das Amen in der Kirche. Glaub mir.“
    „Aaah, dann bekommen Charlotte und ich wirklich zu tun.“
    „Jetzt hör endlich mal mit Charlotte auf.“
    „Die hat dich wirklich an den Eiern gepackt. Gib es doch zu?“
    „Sei jetzt einfach ruhig.“
    Zu Erleichterung kam der Zoll bei Goumois. Die Franzosen kontrollierten nur kurz die Papiere, um nachher das schöne Auto zu loben. Sie waren sichtlich stolz auf das modernste Erzeugnis ihrer Autoindustrie. Die Schweizer dagegen kontrollierten scharf, Breiter musste sogar den Kofferraum öffnen. Neid war in ihren Augen zu lesen. Neid auf den Wagen, Neid auf den Schnösel, der seine Flamme ausfahren konnte, Neid auf die Rotweinfahne, die auf einen feuchtfröhlichen Nachmittag schließen ließ und Neid darauf, dass er nicht in einer kratzenden Uniform steckte.
    Breiter ließ sich nichts anmerken, kämpfte aber innerlich gegen seine Wächter, gegen ihre Schläge, die es nicht geben würde, die er aber jeden Augenblick erwartete, gegen den Befehl, irgendwelche demütigenden Arbeiten unter Hohngelächter verrichten zu müssen, gegen die Angst, nachts auf den Appellplatz getrieben zu werden, um stundenlang nackt in der Kälte zu stehen.
    Nimm es als Übung, nimm es als Übung, dachte er immer wieder, repetierte und repetierte den Satz in seinem Kopf, bis der Zöllner ihm die Pässe zurückgab, sich wortlos abdrehte und mit der einen Hand mit knapper Geste zur Weiterfahrt aufforderte.
    „Du zitterst ja“, bemerkte Elsie, als sie die erste Haarnadelkurve im Wald erreicht hatten.
    „Ja, noch. Aber nicht mehr lange, Elsie, nicht mehr lange.“
    Elsie strich ihm über’s Haar. „Und wenn die Deutschen da unten stehen?“
    „Ich werde nie mehr vor ihnen zittern, das schwöre ich dir. Nie mehr!“

 
    Der Winter wich langsam. Die eine Kuh ließen sie besteigen, so dass der Ertrag aus der Milch der anderen Kuh vollständig an Pierre ging. Im Gegensatz zu den Klistieren, Autoreifen und Potenzmitteln stießen die Bordeaux und Burgunder auf Interesse bei den Wirten. Verhalten zwar, aber immerhin.
    Noch im Februar fand Breiter im nahe gelegenen Courtelary eine kleine Schokoladenfabrik, mit deren Erzeugnissen er Yves in kleinen Mengen belieferte, der sie wiederum an Soldaten und Bevölkerung mit Erfolg weiterverkaufte. So verbrachten Breiter und Elsie die erste Zeit des Krieges bestens ausgestattet mit einer schwangeren Kuh, einem Stall voll Wein und exzellenter Schokolade gegen schwankende Seelenzustände.
    Anfang März erläuterte Yves Breiter eine neue Geschäftsidee.
    „Du kommst ja immer über Goumois rüber?“
    „Der schnellste Weg, die Zöllner und Soldaten kennen mich.“
    „Und via St. Ursanne?“
    „Eigentlich nie.“
    „Und Blaufond?“
    „Nie.“
    „Gut. So haben wir schon zwei Übergänge. Und was machst du, wenn du den Ausweis vergessen hast?“
    „Ich löse eine Tagesidentitätskarte.“
    „Genau.“
    „Du willst …“
    „Ja, damit lässt sich gutes Geld machen. Zweitausend Francs pro Transfer.“
    „Und?“
    „Halbe-halbe.“
    „Juden?“
    „Hauptsächlich. Kommunisten auch noch.“
    „Tausend Francs?“
    „Ja, wenn ich dir die Ware übergebe.“
    „Gut, versuchen wir es mal. Wann?“
    „Nächsten Donnerstag.“
    „Ja, und gib mir noch Wein. Dann fahre ich heute über St. Ursanne und gebe dort auch mal ein paar Flaschen ab.“
    Am Donnerstag löste Breiter in Goumois ohne Probleme eine Tagesidentitätskarte, fuhr nach Charmauvillers, traf sich mit Yves, übergab ihm die Karte, strich die tausend Francs ein, nahm noch sechs Kisten Wein mit und fuhr über St. Ursanne zurück, wo er die Francs gleich in der nächsten Wechselstube umtauschte.
    Alles ging gut. Breiter wiegte sich in der Sicherheit seines Glücks, und so führte er Elsie, die den Tag mit dem Auswendiglernen der Johanna aus George Bernhard Shaws „Die Heilige Johanna“ verbracht hatte, abends in das beste Restaurant der jurassischen Freiberge aus.
    Vier Tage später verdiente sich Breiter weitere tausend Francs, holte sich die Tageskarte am Grenzübergang bei St. Ursanne und kam über Blaufond zurück. In der darauffolgenden Woche fuhr er wieder über Goumois, und der Kunde gelangte über Blaufond in die

Weitere Kostenlose Bücher