Polarrot
ganzen Familie abgehauen. In den Süden, wie es hieß.
Als er zurückkam und davon berichtete, setzte der Leutnant Yves gleich als provisorischen Bürgermeister ein und wies ihn an, ab sofort mit „Heil Hitler“ zu grüßen und sich zu verabschieden. Was sie jetzt gleich mal üben wollen. So endete Yves’ erste Begegnung mit den Ausläufern der neuen Macht mit dem Üben des Hitlergrußes.
Obwohl Breiter der französischen Armee nicht viel zutraute, war er vom horrenden Tempo des deutschen Feldzugs überrascht. Seit dem Überfall auf die Niederlande und Belgien waren es keine sechs Wochen, die die Wehrmacht benötigte, um ihre Panzer fünf Kilometer Luftlinie von Breiters Haustüre entfernt zu parkieren.
Noch wenige Tage zuvor hatten sich in Goumois an den Hauswänden klafterhohe Haufen mit Karabinern getürmt, eilig herbeigeschaffte Weidekörbe und Wäschezainen waren mit Stab- und Eierhandgranaten gefüllt worden, dazwischen standen Maschinengewehre mit Patronengurten und vereinzelte leichte Artilleriekanonen herum. Am Ufer des Doubs, auf den Mauern zum Fluss, mitten auf der Straße und auf der Treppe zur Épicerie, Mercerie V ve L. Brischoux’: überall französische und polnische Soldaten, sitzend, stehend, liegend, einzeln und in Gruppen zusammenstehend, rauchend, weinend, schweigend oder ohne Unterlass redend. Jedem dieser Männer war das Entsetzen über das Geschehen der letzten Tage, der Schrecken über den sang- und klanglosen Zusammenbruch der eigenen Linien, die Scham über die eigene Ohnmacht und die Tatsache, widerstandslos davongelaufen zu sein, aber auch die Erleichterung darüber, überlebt zu haben, ins Gesicht geschrieben.
Breiter stellte in diesen Tagen seinen Traction Avant im hinteren Teil des Stalles ab, ging mit seinen drei Kühen auf die Weide, legte sich ins Gras, schlief immer mal wieder ein, träumte von Elsie, dachte mindestens einmal täglich an Charlotte, ließ sich einen Bart wachsen. Ein Bart, fand Breiter, passt zu dieser Hochebene, wo lose Grüppchen und größere und kleinere Waldflecken aus Tannen und Fichten im sattgrünen, handhohen Gras standen und die Horizontlinie wiederholt durchbrachen. Dahinter ging es schroff hinab, die Fichten und Tannen schmiegten sich näher aneinander, nahmen ein paar Laubbäume in ihre Reihen auf, gerade so, als gäben diese ihnen Halt, um nicht von der Tiefe ein für allemal eingesogen zu werden.
Abends ging er zu Pierre, käste, trank mit ihm den einen oder anderen Absinth und ließ so die Zeit verstreichen, die, außer Kühe zu melken und die Milch mit Pierre zu Käse zu verarbeiten, momentan keine Aufgaben für ihn bereit hielt.
Im Juli wurden Teile der Armee demobilisiert. Mehr und mehr Schweizer Soldaten verließen die Gegend, und es setzte allmählich wieder eine erträgliche Normalität ein.
Im August kalbte die Kuh und Pierre konnte Breiter nur mit viel Mühe davon abbringen, das Kalb Elsie zu nennen. Nach einigen Diskussionen konnte Breiter den Namen „Charel“ durchsetzen.
Gegen Ende des Monats nahm er sich vor, Verbindung mit Yves aufzunehmen. Breiter packte die eine Kiste mit einem schweren UKW-Sender c 20 W.S.c mit Mikrofon und einem etwas leichteren UKW-Empfänger C mit Kopfhörer aus. In beiden Kisten fand Breiter eine ausführliche Bedienungsanleitung für den Einbau der Geräte in den ‚Panzerkampfwagen II, Ausf. A–C‘.
Da war alles genau beschrieben, z.B.:
1. Funkanlage
.
a) Der Funker bedient den Funkgerätesatz Fu 8 (30 Wsa + MwEe) bei Einsatz des Fahrzeuges als Sd Kfz 267 oder den Funkgerätesatz Fu (WS d + Ukw E d 1) bei Einsatz des Fahrzeuges als SD Kfz 268. Er hat seinen Platz vorn rechts vom Fahrer
.
b) Der Funker bedient auch den Funkgerätesatz Fu 5 (10 Wsc + Ukw Ee). Dieser Funkgerätesatz ist im Turm am Platz des Ladeschützen untergebracht. Der Funker ist daher gleichzeitig Ladeschütze
.
Breiter blätterte das Handbuch durch. Alles, alles war beschrieben. Vom Einsatz der Antenne, wo sie verstaut wird, wenn nicht gefunkt wird, über den Schleifringüberträger und Turmanschluss, über die Stromversorgung, die durch den Umformer aus der Fahrzeugbatterie erfolge, bis er auf Blatt 16 schließlich auf folgende Bemerkung stieß:
Einzelheiten zur Bedienung der Geräte sind den zuständigen Druckvorschriften zu entnehmen
.
D 949/2 Der 10 Watt Sender A
D 988/2 Der Ultrakurzwellenempfänger A
D 983/1 Der 20 Watt Sender C
D 984/2 Der Ultrakurzwellenempfänger C
„Ja und wo sind diese
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