Polarsturm
an. Da sie kaum etwas anderes zu tun hatten, als auf das Funkgerät zu achten, ruhten sich die beiden Männer aus, doch aufgrund der sinkenden Innentemperatur wurde es schon nach kurzer Zeit zu ungemütlich zum Schlafen.
Pitt war gerade an der Dachluke beschäftigt, als das Tauchboot mit einem lauten Scharren liegen blieb.
»Land in Sicht«, murmelte Giordino und schlug die schläfrigen Augen auf.
»Beinahe«, erwiderte Pitt, während er durch das Sichtfenster spähte. Ein leichter Wind riss den Nebel auf, sodass eine weiße Eisdecke vor ihnen zu sehen war, die rund dreißig Meter weiter wieder im Dunst verschwand.
»Könnte durchaus sein, dass es auf der anderen Seite von dem Eisfeld Land gibt«, mutmaßte Pitt.
»Treffen wir dort auf einen Stand mit heißem Kaffee?«, fragte Giordino, der sich die Hände rieb, um sie warm zu halten.
»Ja … etwa zweitausend Meilen südlich von hier.« Er schaute Giordino an. »Wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder bleiben wir in unserem gemütlichen Titanturm, oder wir sehen zu, dass wir irgendwo Hilfe finden. Die Inuit gehen in dieser Gegend nach wie vor auf Jagd, folglich könnte sich irgendwo in der Nähe eine Siedlung befinden. Wenn das Wetter aufklart, besteht auch die Chance, dass wir ein Schiff anhalten können.« Er blickte auf seine Kleidung. »Leider tragen wir nicht die richtigen Sachen für einen Querfeldeinmarsch.«
Giordino reckte die Arme und gähnte. »Ich persönlich habe es satt, in dieser Blechbüchse rumzuhocken. Lass uns die Beine vertreten und feststellen, wie’s in der näheren Umgebung aussieht.«
»Einverstanden«, erwiderte Pitt nickend.
Giordino versuchte ein letztes Mal, die
Narwhal zu
erreichen, dann schaltete er das Funkgerät aus. Die beiden Männer stiegen aus der Dachluke und wurden prompt von der eisigen Luft mit ihren minus dreizehn Grad empfangen. Sie stellten fest, dass sich der Bug des Tauchbootes schon im dicken Meereis verkeilt hatte, sodass sie mühelos auf die gefrorene Fläche hinabsteigen konnten. Der auffrischende Wind löste jetzt den tief hängenden Nebel auf, und sie sahen, dass sich vor ihnen nichts als Eis erstreckte. Trotzdem liefen sie los und marschierten mit weit ausholenden Schritten durch den trockenen Schnee, der unter ihren Füßen knirschte.
Das Meereis war größtenteils eben, aber hier und da wölbten sich niedrige Höcker auf. Sie hatten erst eine kurze Strecke zurückgelegt, als Giordino links von ihnen etwas bemerkte. Es sah aus wie eine kleine Schneehöhle, die in eine Erhebung aus aufgetürmtem Eis gegraben war.
»Sieht aus, wie von Menschenhand gemacht«, sagte Giordino. »Vielleicht hat da drin jemand Ohrschützer für uns liegen lassen.«
Giordino ging zum Eingang der Höhle, kniete sich hin und steckte den Kopf hinein. Pitt näherte sich ebenfalls, dann blieb er stehen und musterte einen Fußabdruck im Schnee. Er erstarrte, als er den Umriss erkannte.
»Al«, flüsterte er warnend.
Giordino hatte bereits gezögert. Er sah, dass der dunkle Gang ein paar Schritte weiter hinten in eine große Kammer überging, und dort, in der Düsternis kaum zu erkennen, lag etwas Großes, dessen weißes Fell sich unter tiefen Atemzügen hob und senkte. Der Eisbär hatte den Winterschlaf hinter sich, war aber offenbar auf ein Frühlingsnickerchen in seine Höhle zurückgekehrt. Ein hungriger Eisbär aber war vollkommen unberechenbar und konnte die beiden Männer mühelos verspeisen.
Giordino, der die Gefahr sofort erkannte, zog sich so leise wie möglich aus der Höhle zurück und formte mit den Lippen das Wort »Bär«, worauf die beiden Männer so schnell wie möglich davonschlichen. Als sie außer Hörweite waren, wurde Giordino langsamer, sein Gesicht bekam allmählich wieder Farbe.
»Ich kann bloß hoffen, dass die Robben in dieser Gegend langsam und zahlreich sind«, sagte er kopfschüttelnd.
»Ganz recht. Ich würde nur ungern sehen, dass du als Bettvorleger in der Höhle des Bären endest«, erwiderte Pitt, der sich nur mühsam das Lachen verkneifen konnte.
Die Gefahr bestand durchaus, das war ihnen klar, deshalb warfen sie immer wieder einen Blick zurück, während sie sich weiter vom Meer entfernten.
Als die Bärenhöhle hinter ihnen im Nebel verschwunden war, tauchte vor ihnen ein dunkler, felsiger Streifen Land im Dunst auf, eine braun und grau gesprenkelte, von Einschnitten durchzogene Anhöhe, die vor dem Horizont aufragte. Sie waren an der Nordküste der Royal-Geographical-Society-Inseln auf
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