Polarsturm
der
Terror
, von der Themsemündung aus auf. Bei der Einfahrt in die Baffin Bay, vor Grönland, wurden sie in diesem Sommer zum letzten Mal gesehen. Da die Mannschaften Proviant für drei Jahre dabeihatten, ging man davon aus, dass sie mindestens ein Jahr im Eis überwintern konnten, ehe sie versuchten, einen Seeweg zum Pazifik zu finden. Oder sie wären mit dem Beweis, dass es keine Passage gab, nach England zurückgekehrt. Stattdessen kamen Franklin und seine Männer in der Arktis um und wurden nie wieder gesehen.«
»Hat niemand nach ihnen gesucht, als sie nach drei Jahren noch immer nicht wieder aufgetaucht waren?«, fragte Loren.
»O ja, meine Liebe! Ende 1847 machte man sich zunehmend Sorgen, als man nichts von ihnen hörte, und im Jahr darauf wurde eine Rettungsaktion unternommen. Dutzende von Expeditionen wurden auf die Suche nach Franklin geschickt und erkundeten sowohl die östliche als auch die westliche Zufahrt der Passage. Franklins Frau, Lady Jane Franklin, finanzierte höchstpersönlich zahlreiche Expeditionen, um ihren Mann zu finden. Erstaunlicherweise wurden erst 1854, neun Jahre nach der Abfahrt aus England, die sterblichen Überreste einiger Besatzungsmitglieder auf der King-William-Insel gefunden, womit sich die schlimmsten Vermutungen bestätigten.«
»Hatten sie irgendwelche Logbücher oder Aufzeichnungen hinterlassen?«, fragte Pitt.
»Nur eins. Eine grässliche Nachricht, die sie in einem Steinhaufen der Insel hinterlegten und die 1859 entdeckt wurde.« Perlmutter fand in einem seiner Bücher eine Fotokopie von dieser Nachricht und reichte sie Loren und Pitt.
»Hier steht, dass Franklin 1847 gestorben ist, aber die Ursache wird nicht angegeben«, sagte Loren.
»Die Nachricht wirft mehr Fragen auf, als dass sie Antworten liefert. Sie hatten den schwersten Teil der Passage beinahe hinter sich, wurden aber vermutlich von einem ausnehmend kurzen Sommer überrascht, und vermutlich sind die Schiffe im Eis geborsten.«
Pitt stieß in dem Buch auf eine Karte, auf der die Gegend, in der Franklin starb, verzeichnet war. Die Stelle, an der seine Schiffe aufgegeben wurden, war nur knapp hundert Meilen von der Halbinsel Adelaide entfernt.
»Das Ruthenium, das in dieser Gegend gefunden wurde, wurde als Schwarzes Kobluna bezeichnet«, sagte Pitt, während er die Karte nach einem geografischen Anhaltspunkt absuchte.
»Kobluna. Das ist ein Inuit-Wort«, sagte Perlmutter und griff zu dem primitiv gebundenen Manuskript. Als er die vergilbten Seiten aufschlug, sah Loren, dass der ganze Text von Hand geschrieben war.
»Ja«, antwortete Pitt. »Es ist eine Inuit-Bezeichnung für ›Weißer Mann‹.«
Perlmutter schlug mit dem Fingerknöchel auf das aufgeschlagene Dokument. »Im Jahr 1860 versuchte ein New Yorker Journalist namens Stuart Leuthner, das Rätsel um die Franklin-Expedition zu lösen. Er reiste in die Arktis und lebte sieben Jahre in einer Siedlung der Inuit, wo er ihre Sprache und ihr Brauchtum erlernte. Er suchte die Gegend um die King-William-Insel ab, fragte jeden Bewohner, den er finden konnte und der möglicherweise Kontakt zu Franklin und seinen Männern gehabt hatte, und kehrte desillusioniert nach New York zurück, ohne die Erklärungen zu finden, die er gesucht hatte. Aus irgendeinem Grund beschloss er, seine Erkenntnisse nicht zu veröffentlichen, ließ seinen Text hier und kehrte in die Arktis zurück. Er nahm eine junge Inuit zur Frau, dann zog er in die Wildnis, um vom Land selbst zu leben. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört.«
»Sind das seine Aufzeichnungen über die Zeit, die er bei den Inuit verbracht hat?«, fragte Pitt.
Perlmutter nickte. »Ich konnte sie vor ein paar Jahren bei einer Auktion erstehen und bekam sie sogar für einen vernünftigen Preis.«
»Wundert mich, dass sie nie veröffentlicht wurden«, sagte Loren.
»Dem wäre nicht so, wenn du sie lesen würdest. Sie bestehen zu neunzig Prozent aus Abhandlungen über das Erlegen und Schlachten von Robben, den Bau von Iglus und den Kampf gegen die Langeweile in den dunklen Wintermonaten.«
»Und die anderen zehn Prozent?«, fragte Pitt.
»Schauen wir mal nach«, sagte Perlmutter lächelnd.
Eine Stunde lang blätterte Perlmutter in dem Manuskript und las hin und wieder Passagen vor, in denen die Inuit Schlittentrupps beschrieben, die sie an den fernen Gestaden der King-William-Insel gesehen hatten, oder von zwei großen Schiffen berichteten, die im Eis gefangen waren. Gegen Ende der Aufzeichnungen
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