Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
viele. Sie bedienen Fachmagazine, Tages-und Boulevard-Zeitungen, Online-Dienste. Entsprechend breit sind die Themen, zu denen gefragt wird. Mehr als ein Dutzend Antworten sind am Samstag aber selten drin. Die Zeit drängt. Aus der Fragerunde geht es weiter zur nächsten. Die Kameras der Sender, die von Formel-1-Vermarkter Bernie Ecclestone das Recht erworben haben, im Fahrerlager zu filmen, warten bereits. Auch vor ihnen haben die Fahrer auszusagen. Wer sich entzieht, riskiert eine Strafe. Die O-Töne vom Samstagnachmittag werden meist in die Zusammenfassungen eingeflochten, die am Abend gesendet werden – oder in die Beiträge, die am Sonntag vor dem Rennen zu sehen sind. Unter einer Dreiviertelstunde ist der Parcours kaum zu schaffen, so lange müssen die Ingenieure mit der Nachbesprechung warten.
Das Ritual wiederholt sich am Sonntag nach dem Rennen und der Siegerehrung in ähnlicher Weise. Es ist Routine. Aber es ist auch eine gute Möglichkeit, Botschaften zu übermitteln. In den Formel-1-Fabriken wird an den Rennwochenenden gearbeitet. Auch dort laufen die Fernseher. Und deshalb ist es kein Zufall, dass Sebastian Vettel in Suzuka gleich bei erster Gelegenheit »Danke!« sagt: »Ohne die große Hilfe aus der Fabrik hätte ich es heute hier nicht auf die Pole Position geschafft. Ich bin sehr glücklich und sehr stolz. Wir haben das Maximale herausgeholt.« Er sagt wirklich »wir«. Und auch die Antwort auf eine andere Frage sagt einiges: Wie es wohl sein werde, das Aufwachen, am nächsten Morgen, an dem Tag, an dem er wahrscheinlich zum zweiten Mal Weltmeister wird? »So sehe ich das nicht«, antwortet Sebastian Vettel, »wie jeden Morgen werde ich froh sein, wenn ich überhaupt aufwache. Und dann haben wir ein schönes Rennen, auf das ich mich sehr freue.« Die Flucht in den Witz – das ist ein beliebtes rhetorisches Mittel, wenn er nichts verraten oder Themen nicht zu nahe an sich heranlassen will. Alle Utensilien, auf denen er unterschreiben sollte und auf denen er bereits als zweimaliger Weltmeister geführt wird, hat er in den Müll geworfen. Bloß keinen zu schweren Gedanken mitschleppen. »Sonst ist die Handbremse angezogen.« So sieht er es. Im Rennen will er deshalb am liebsten vergessen, um was es geht.
Schaulustige
Als Sebastian Vettel am Sonntagmorgen sein Hotel verlässt, ist er nicht der Einzige, der dem Tag mit Freude entgegenfiebert. Es sind schon Fans wach, die auf ihn warten. Auch an der Rennstrecke füllen sich die Ränge früh. Und sie füllen sich gut. Die Formel-1-Begeisterung ist groß in Japan, und es gibt wenige Regionen, in denen die Anhänger derart enthusiastisch auftreten wie in der Präfektur Mie. Schon am Donnerstag, als Sebastian Vettel die Strecke abschritt, hingen viele Fahnen, die ihn grüßten. Am Samstagmorgen, im Training, fielen ihm drei Fans auf mit Kopfbedeckungen, die aussahen wie die Kameras auf den Überrollbügeln der Formel-1-Autos. Auch während der Fahrerparade am Sonntag, als er in einem alten Mercedes-Cabrio um den Kurs chauffiert wird, kann er viele Skurrilitäten sehen: Fans, die sich als Red-Bull-Dosen verkleidet oder sich ganz in Rot gehüllt haben und einen nachgebauten Ferrari-Motor auf dem Rücken tragen. Die schnellen Autos beflügeln die Phantasie vieler Japaner – und sie bieten Ablenkung. Ob der Grand Prix 2011 tatsächlich stattfindet, ist lange Zeit ungewiss gewesen, nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der atomaren Katastrophe in Fukushima im Frühjahr. Diese geballten Katastrophen sind auch in Suzuka ein Thema. Kamui Kobayashi, der Japaner, der für das Sauber-Team antritt, hat organisiert, dass ein Mädchen-Chor aus Fukushima eingeladen wurde. In der Startaufstellung singen die Mädchen eine Viertelstunde vor dem Start die Nationalhymne. Viele Fahrer tragen Zeichen der Solidarität, auch Sebastian Vettel: Er hat seinen Helm speziell lackieren lassen, und oben, dort, wo die Kamera, die auf dem Überrollbügel befestigt ist, es besonders gut einfängt, prangt ein Schriftzeichen: »Kizuna«. Es steht für »enger Zusammenhalt«. Auch seine Homepage, auf der Deutsch und Englisch gesprochen wird, hat er an diesem Wochenende um eine Übersetzung erweitern lassen: Alles ist jetzt dort auch auf Japanisch zu lesen.
Countdown
Die 90 Minuten vor dem Start sind penibel strukturiert. Sie beginnen für Sebastian Vettel mit dem immer gleichen, leichten Mittagessen: Kalbsfilet, Reis, gedünstetes Gemüse. Kulinarische Experimente werden nicht gewagt. Danach
Weitere Kostenlose Bücher