Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
McLaren-Strategen, die daheim in der Firmenzentrale in Woking sitzen, hatten hochgerechnet und dachten, sie hätten aus der Ferne die richtige Reifenformel gefunden. Haben sie nicht. Die Nummer kann nicht klappen. Hamilton muss zum Reifenwechsel zurück an die Box. Auf dem Weg dorthin wird er am Anfang der Boxengasse von den Rennkommissaren aufgehalten: Bitte kurz auf die Kontrollwaage! Das Prozedere kostet wertvolle Minuten. Als Hamilton mit Regenreifen schließlich wieder zurück auf die Bahn biegt, sind die Bremsen kalt, und es schüttet wie aus Kübeln. Startplatz 15. Es sieht nach Pech aus. Aber das ist es nicht wirklich. An der Spitze schießt sich unterdessen Sebastian Vettel auf seinen Angriff auf die Pole Position ein: Als Schnellster des zweiten Qualifikationsdurchgangs zieht er mit einem Vorsprung von sechs Tausendstelsekunden vor Heikki Kovalainen in das Ausscheidungsfahren der besten Zehn ein. Kovalainen, Massa – oder doch ein Außenseiter auf der Pole Position? Plötzlich scheint alles möglich zu sein.
Die erste Pole Position
Der finale Qualifikationsdurchgang hat eine Besonderheit: Die zehn Fahrer, die zu ihm antreten, müssen zuvor eine wichtige Entscheidung treffen. Wie viel Benzin nehme ich mit? Mit dem, was am Ende der Qualifikation im Tank ist, müssen sie das Rennen starten. Mit jedem Kilogramm mehr kommen sie dort weiter und haben mehr strategische Möglichkeiten, wann sie tanken und Reifen wechseln. Bei einem Rennen, in dem sich die Bedingungen ändern, kann das ein Vorteil sein. Jedes Kilogramm mehr ist aber auch ein zusätzliches Gewicht, das bremst und das einen Startplatz kosten kann. Viel Benzin oder wenig? Die Frage stellt sich Kovalainen. Sie stellt sich Massa. Und sie stellt sich Sebastian Vettel. Für Massa ist die Entscheidung einigermaßen leicht. Er befindet sich im Titelkampf. Nach 13 von 18 Rennen liegt er mit 74 Punkten in der WM -Wertung zwei Zähler hinter dem Führenden, Lewis Hamilton. Der ist in Monza als Qualifikations-Fünfzehnter weit zurück. Also ist es für Massa klug, auf Sicherheit zu setzen. Bis Runde 22 wird er im Rennen mit dem Benzin kommen, mit dem er in die Qualifikation zieht. Dort glückt ihm nichts Berauschendes. »Es hätte besser sein können, aber auch viel schlechter. Ich habe keine tolle Runde hinbekommen, aber unter den Bedingungen war es schon schwer, eine gute hinzukriegen«, sagt Massa, als er zurückkommt. Startplatz sechs. Kovalainens Taktik ist ähnlich. Auch er schielt eher auf das Rennen. Und sein erster Versuch ist nicht makellos. Danach wird der Regen wieder heftiger. 1:37,631 Minuten. Das reicht nicht. Es reicht nicht, weil Sebastian Vettel sein Werkzeug noch einmal nachgeschliffen hat. Benzin für 18 Rennrunden. Das ist wenig. Das heißt: Alles oder nichts. Verpasst er einen guten Startplatz, droht er im Rennen durchgereicht zu werden, unterzugehen. Es ist eine Situation wie beim Elfmeterschießen im Fußball: Held oder Depp. Aber anders als der Schütze, der zum Strafstoß antritt, hat Sebastian Vettel die Situation selbst initiiert. »Wenn es regnet, müssen wir auf die Pole Position zielen!« So schnell kann aus einem Spruch ein Fluch werden. Wieder dämmert ein wegweisender Moment herauf. Make it or break it: Mach’s oder zerbrich daran! Unter Druck entstehen Diamanten. Oder Kohlestaub. Nichts dazwischen. Sechs Minuten nachdem die Ampel auf Grün geschaltet hat, wird für Sebastian Vettel eine Zeit von 1:37,555 Minuten gestoppt. Das ist die Bestzeit. Der Stress-Test ist bestanden. Die Freude darüber ist überschwänglich. Als er aus dem Auto steigt, zeigt Sebastian Vettel seinen gestreckten Zeigefinger. Es ist eine spontane Geste. »Hier bin ich!«, kann sie heißen. Aber auch: »Vorsicht!« Es lässt sich viel aus ihr lesen. Und viel in sie hineininterpretieren. Dass sie einmal Sebastian Vettels Markenzeichen wird, ist aber weder geplant noch zu ahnen. Noch wilder ist der Überschwang aber beim Team. Minardi, der Rennstall, aus dem Toro Rosso hervorgegangen ist, gab es seit 1985. Noch nie konnte die Mannschaft einen der Ihren so weit nach vorne bringen. Und dann gleich auf die Pole Position. Beim Heimspiel in Italien. Die Mechaniker tragen Sebastian Vettel auf ihren Schultern durch die Garage, sie spritzen ihm Champagner ins Gesicht, die ganze Mannschaft bezieht zu einem Erinnerungsfoto Aufstellung. Nach vielen Jahren ist es eine Sekunde des Glücks, so sieht es aus. Auch für Sebastian Vettel. Er warnt jedoch: »Man darf nicht
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