Polgara die Zauberin
nicht direkt, aber ich schickte einen raschen Prüfgedanken zu dem gestürzten Baron aus. Er schnappte nach Luft, aber das stand auch nicht anders zu erwarten. Wenn man beim Lanzenstechen abgeworfen wurde, führte das fast immer dazu, daß man zunächst keine Luft mehr bekam.
Dann erreichten die Ärzte das Freundespaar. Sie schienen sehr besorgt zu sein. Baron Lathan hatte einen bösen Sturz hinter sich, und die linke Brustplatte seiner Rüstung war eingedrückt, so daß er kaum atmen konnte. Nachdem die Ärzte ihn aus seiner Rüstung befreit hatten, begann seine Atmung sich indes zu normalisieren, und er brachte es sogar über sich, Ontrose zu seinem Sieg zu gratulieren. Dann brachten die Ärzte ihn fort ins Feldlazarett.
Graf Ontrose bestieg erneut sein Schlachtroß und ritt herbei, um seinen Siegespreis in Empfang zu nehmen – mich, in diesem Fall. Er senkte die Lanze vor mir, und ich band im Einvernehmen mit der Überlieferung als Zeichen meiner ›Gunst‹ eine zarte blaue Schärpe um ihre Spitze. »Nun seid Ihr wahrhaft mein Ritter«, deklamierte ich in förmlichem Ton.
»Habt Dank, Euer Gnaden«, erwiderte er mit klangvollem Bariton, »und hiermit verpfände ich Euch mein Leben und meine unsterbliche Treue.«
Ich fand das schrecklich nett von ihm.
Ontrose, nunmehr ›mächtigster unter den lebenden Rittern‹, war einer jener seltenen Menschen, die in allem brillierten, was sie tun. Er war Philosoph, Rosenkenner, Dichter und ein Lautenspieler allererster Güte. Seine Manieren waren ausgezeichnet aber auf dem Turnierplatz fürchtete man ihn. Und nicht nur das. Er sah auch wahrhaft umwerfend aus. Er war hochgewachsen, schlank und muskulös, mit Zügen, die als Modell für eine Statue hätten dienen können. Seine Haut war ausgesprochen hell, sein Haar jedoch, wie ich bereits erwähnt habe, glänzte blauschwarz. Seine großen, ausdrucksvollen Augen hatten das dunkle Blau eines Saphirs, und eine ganze Generation der schönsten arendischen Jungfrauen weinte sich eine erkleckliche Reihe von Jahren lang wegen ihm in den Schlaf.
Und jetzt gehörte er mir.
Natürlich gab es nach dem Turnier noch eine förmliche Investitur. Arender lieben Zeremonien. Die drei Herzöge, in quasiköniglichen Prunk gewandet, geleiteten den Helden zu mir und fragten mich feierlich, ob mir dieser wunderschöne junge Mann genehm sei. Welch absurde Frage! Ich trug die blumige kleine Rede vor, mit der ich Graf Ontrose offiziell als meinen Kämpen annahm, und dann kniete er nieder, um mir unsterbliche Treue zu schwören, indem er die ›Stärke seiner Hände‹ zu meinem Schutz entbot. Es waren indes nicht seine Hände, die mich am meisten interessierten.
Baron Lathan wohnte dem Ganzen mit dem Arm in einer Schlinge bei. Sein Sturz hatte zu einer schlimmen Verstauchung der Schulter geführt. Sein Gesicht war aschfahl, und während der Zeremonie standen ihm sogar Tränen der Enttäuschung in den Augen. Manche Männer können es einfach nicht ertragen, zu verlieren. Noch einmal beglückwünschte er Ontrose in aller Förmlichkeit, was ich als sehr kultiviert empfand. Es hatte in Arendien Zeiten gegeben, als ein Verlierer eines Waffenganges dem Sieger den Krieg erklärt hatte. Lathan und Ontrose waren Freunde gewesen, und daran hatte sich anscheinend nichts geändert.
Wir verbrachten noch eine Weile auf dem Markt, um dann nach Vo Wacune zurückzukehren, wo Ontrose in meinem Stadthaus Wohnung nahm.
Als der Herbst die Blätter zu färben begann, ritten mein Kämpe und ich in den Norden, damit ich ihn mit den Besonderheiten des Herzogtums Erat vertraut machen konnte.
»Man hat mir kundgetan, Euer Gnaden, daß Ihr die Leibeigenschaft aus Eurem Herzogtum verbannt habet, und ich muß gestehen, daß dies meine Neugier in überreichem Maße gewecket hat. Die Befreiung derjenigen, welche auf der untersten Stufe der Gesellschaft stehen – oder kriechen –, ist fürwahr ein Akt höchster, edelster Menschenliebe. Doch schwer kam es mich an zu verstehen, wie es sich denn zutrug, daß die Wirtschaft in selbigem Herzogtum nicht in sich zusammengebrach. Ich bitt Euch, klärt mich auf über dieses wundersame Begebnis.«
Ich war mir nicht sicher, ob seine Erziehung auch die undurchsichtigen Niederungen der Wirtschaftslehre ausgeleuchtet hatte, aber ich bemühte mich ihm zu erklären, warum mein Herzogtum ohne Leibeigenschaft blühte und gedieh. Ich war überrascht – und erfreut –, wie schnell er gewisse Ideen begriff, die in die Dickköpfe meiner Vasallen zu
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