Polgara die Zauberin
seinem Palaste finden und von diesem hohen Aussichtspunkte einen tiefen und furchtbaren Sturz hinunter auf den Hof erleiden.«
»Nett gesagt, Mylord Ontrose«, lobte ihn Andrion.
»Schließlich bin ich ein Dichter, Euer Gnaden«, bemerkte Ontrose mit gewohnter Bescheidenheit. »Der geschickte Umgang mit der Sprache scheint mir in die Wiege gelegt zu sein.«
Im Anschluß an unsere Besprechung mit Andrion kehrten mein Kämpe und ich in mein Stadthaus zurück. Beim Abendessen erörterten wir einige schwierige und hintergründige philosophische Fragen, und wieder einmal war ich überwältigt von der Tiefe des Verständnisses, die dieser bemerkenswerte Mann an den Tag legte. Ich hätte ihn liebend gern mit Onkel Beldin bekannt gemacht, mich dann zurückgelehnt und zugeschaut, wie die Funken flogen. Ich wußte, wenn meine Pläne sich erfüllten, würde dieser Tag schließlich kommen. Die Aussicht, diesen Ausbund an Tugend meiner Familie vorzustellen, war überaus erfreulich. Meinem Vater und meinen Onkeln fehlt der gesellschaftliche Schliff, und Ontrose, Dichter, Philosoph, Höfling und mächtigster unter den lebenden Rittern, hatte ein so geschliffenes Benehmen, daß er fast im Dunkeln leuchtete. Von all den einstigen Jüngern unseres Meisters hätte es nur Belmakor mit seiner weltläufigen Gewandtheit aufnehmen können – jedenfalls behauptet Vater das.
Nach dem Mahl begaben wir uns in meinen Rosengarten, während die Dämmerung sich über die strahlende Stadt Vo Wacune senkte. Ontrose spielte auf der Laute und sang mir vor, und die Sorgen des Tages schienen von uns abzufallen. Es war einer jener vollkommenen Abende, die uns viel zu selten beschert werden. Wir sprachen über Rosen und nur gelegentlich über die Mobilisierung, und allmählich wurde der Abend dunkler, und die Sterne zogen herauf.
Dann, als es Schlafenszeit war, küßte mein Kämpe mich zärtlich und wünschte mir eine gute Nacht.
Ich schlief nicht viel in jener Nacht, aber ich träumte.
Am darauffolgenden Morgen verließ Ontrose Vo Wacune, um in den Norden zurückzukehren.
Der Herbst war in jenem Jahr trist, fast wehmütig, was mit meiner Stimmung im Einklang zu stehen schien. Ich hatte über sechs Jahrhunderte damit zugebracht, den Arendern den Friedensgedanken einzubleuen, immer in der Hoffnung, ich könnte ihn so fest in ihrem Bewußtsein verankern, daß ihnen der Gedanke an Krieg nie wieder kommen würde. Doch mein Traum schien zu verblassen.
Der Winter in jenem Jahr brach früh herein, angekündigt von endlosem Nebel, jenem Fluch, der Arendien in der kalten Jahreszeit stets peinigt. Nebel ist gewiß das niederdrückendste Wetter, das man sich vorstellen kann. Er verfinstert Sonne und Himmel und breitet seinen naßkalten Schleier über alles. Endlose Wochen erduldeten wir ein feuchtes Zwielicht und lauschten dem trüben Tröpfeln des Wassers von den Zweigen eines jeden Baumes im Land, während die steinernen Mauern der Gebäude von Vo Wacune lange Tränenbäche zu weinen schienen.
Der folgende Frühling war nicht viel besser als der Winter. Gewiß erwartet man im Frühjahr viel Niederschlag, aber man sehnt sich auch einige sonnige Tage herbei. Dieser Frühling jedoch schien den Sonnenschein vergessen zu haben. Schmutziggraue Wolken hingen wochenlang über uns, und in den Straßen ging finsterer Trübsinn um.
Baron Lathan war mehrere Monate lang fortgewesen, aber Andrion und ich hatten dem kaum Beachtung geschenkt. Es war Lathans Pflicht als Befehlshaber der wacitischen Armee, häufig militärische Außenposten zu inspizieren, so daß seine Abwesenheit nichts Ungewöhnliches war. Als das schauderhafte Wetter indes aufhörte, kehrte er mit einigen erschreckenden Nachrichten nach Vo Wacune zurück. Herzog Andrion ließ mich unverzüglich in den Palast bitten, damit wir gemeinsam den Bericht seines Freundes anhören konnten. Lathan trug noch immer seine schlammbespritzten Reisekleider, und er wirkte völlig erschöpft. Unter seinen rot geränderten Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, und er hatte sichtlich seit mehreren Tagen nicht mehr geschlafen.
»Ihr braucht eine heiße Mahlzeit und Ruhe, Lathan«, tat ich meine Meinung als Ärztin kund.
»Wenig Zeit war dafür jüngsthin, Euer Gnaden«, antwortete er mit einer merkwürdig toten Stimme. Dann stieß er einen tiefen, eigenartig traurigen Seufzer aus. »Ich bin erst seit kurzem aus Vo Astur zurückgekehrt –«
» Was seid Ihr?« rief ich aus.
»Die Berichte unserer Spione in Asturien waren
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