Polgara die Zauberin
meine Verluste geringfügig bleiben würden, und wenn Herzog Garteons Armee erst einmal dezimiert wäre, bliebe ihm keine andere Wahl als die Kapitulation. Die Schlacht von Seline würde höchstwahrscheinlich eine weitere Generation des Friedens in Arendien gewährleisten.
Es war Abend, als ich im Garten meines Landsitzes am Eratsee landete. Dann nahm ich meine eigene Gestalt an und hielt nach Ontrose Ausschau. Ich traf ihn in meiner Bibliothek an, wo er eine Landkarte studierte. Es war kindisch, ich weiß, aber ich hatte ihn mehrere Wochen nicht gesehen, und so schlich ich mich von hinten an ihn heran und hielt ihm die Augen zu. »Ratet, wer ich bin«, hauchte ich in sein Ohr.
»Lady Polgara?« fragte er in überraschtem Tonfall.
»Ihr habt gemogelt«, warf ich ihm vor. »Das ist nicht fair.« Dann küßte ich ihn – mehrmals, um genau zu sein.
Und dann küßte er mich. Es war nur ein Kuß, aber er währte ziemlich lange. Danach drehte sich alles um mich, und ich atmete tief. Recht unschickliche Gedanken bemächtigten sich meiner. Trotzdem kam ich zu dem Schluß, es sei eine gute Idee, ihn über unsere derzeitige Lage zu informieren – unbedeutende Kleinigkeiten wie Armeen durch das Land marschieren zu lassen, Städte zu verteidigen und die Asturier vom Antlitz der Erde zu fegen –, ehe wir uns wichtigeren Dingen zuwandten.
Die Neuigkeit schreckte meinen Kämpen auf. »Seid Ihr Euch dessen sicher, Polgara?« fragte er. Das war das erste Mal, daß er mich mit meinem Namen anredete, und es fügte sich nahtlos in die Pläne ein, die ich für den weiteren Verlauf dieses Abends hatte.
»Die Information stammt von Baron Lathan, Liebster«, versicherte ich ihm. »Er schlich sich heimlich davon und ging nach Asturien, ohne Herzog Andrion und mir etwas von seinem Vorhaben zu erzählen. Er hörte mit eigenen Ohren, wie Garteon und seine Handlanger ihren Plan besprachen, und er beobachtete mit eigenen Augen die Einschiffung der asturischen Armee.«
»Ich würde Lathan mein Leben anvertrauen, Polgara«, sagte er, »und sein Wort ist über jeden Zweifel erhaben. Ich muß zu Pferd.«
»Wozu um alles auf der Welt?«
»Ich muß gen Süden reiten und unsere Truppen schnellstmöglichst nach Seline führen.«
»Legt Euren Sattel wieder beiseite, Lieber«, riet ich ihm. »Ich habe auf meiner Reise nach Norden in unserem Heerlager halt gemacht. General Halbren wird bei Morgengrauen nach Seline marschieren. Er schlägt vor, daß Ihr Euch geradewegs von hier nach Seline begebt, um die Stadtmauern gegen den asturischen Angriff vorzubereiten. Er schickt seine berittenen Einheiten voraus, damit Ihr über genügend Truppen verfügt, um mögliche frühe Angriffe durch Eliteregimenter abzuwehren.«
»Halbren ist ein höchst praktisch denkender Mensch«, stimmte Ontrose dem Vorschlag zu. »Wir dürfen uns glücklich schätzen, ihn zu haben.«
»Das ist noch nicht alles, Ontrose«, ließ ich ihn wissen. »Baron Lathan wird die wacitische Armee gen Norden führen. Er dürfte etwa einen Tag nach dem ersten asturischen Angriff vor Seline eintreffen.«
»Lieber, lieber Lathan!« Ontrose gluckste fast vor Vergnügen. »Mit vereinten Kräften werden wir Garteons Heer gewißlich vernichten, und über das arme Arendien wird sich wieder der Mantel süßen Friedens breiten.«
Ich liebte Ontrose beinah abgöttisch, aber die Verbindung von ›vernichten‹ und ›süßem Frieden‹ schien sich in meinen Augen ein ganz klein wenig zu widersprechen. Ontrose war schließlich Dichter, so daß er mit diesen Ausdrücken ein wenig vorsichtiger hätte umgehen sollen.
»Habet Ihr all diesem Allerlei von Ereignissen zufällig Zahlen zugeordnet Pol?« fragte er.
»Was für Zahlen?«
»Tageszahlen, Euer Gnaden. Wann ist Garteons Flotte losgesegelt?«
»Oh, jetzt verstehe ich. Garteons Streitmacht hat Vo Astur vor drei Tagen verlassen. Meinen Berechnungen zufolge wird er elf Tage lang auf See sein – von heute an acht Tage. Halbren sollte in sieben Tagen in Seline eintreffen. Angenommen, die Asturier benötigen einen Tag für den Marsch auf Seline, werden wir ihn am zwölften Tag vor den Mauern von Seline zu Gesicht bekommen. Lathan dürfte am dreizehnten Tag eintreffen.«
»Und am fünfzehnten wird Garteons Heer nicht mehr sein«, versprach mein Kämpe in grimmigem Ton. »Eure Strategie ist meisterhaft, Geliebte.«
»Sogar noch besser, wie es aussieht«, hauchte ich, und eine warme Glut durchströmte meinen Körper.
»Ich fürchte, ich verstehe den Sinn Eurer Rede
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