Polgara die Zauberin
sehr schmerzhaft, wenn einem der Boden unter seinen Vorurteilen weggezogen wird. Ich entdeckte jedoch nur einen ziemlich abgerissen wirkenden alten Mann, der eingehend eine Pergamentrolle studierte.
»Tu's nicht, Polgara«, sagte er. Er machte sich nicht die Mühe, von seinem Manuskript aufzublicken.
»Was?«
»Mich so anzustarren.«
»Woher wußtest du, daß ich dich anstarre?«
»Ich konnte es spüren, Polgara. Laß es.«
Das erschütterte mein für so sicher gehaltenes Urteil über ihn mehr, als ich mir eingestehen wollte. Offenbar hatten Beldin und die Zwillinge recht. Vieles an meinem Vater war ungewöhnlich. Ich kam zu dem Entschluß, daß ich mit Mutter darüber reden müßte.
»Er ist ein Wolf, Polgara«, erzählte mir Mutter, »und Wölfe spielen. Du nimmst das Leben viel zu ernst, und darum verärgert es dich, wenn er spielt. Er kann sehr ernsthaft sein, wenn er muß, aber wenn es nicht notwendig ist, spielt er. Das ist Wolfsart.«
»Aber er erniedrigt sich selbst mit seinen Dummheiten!«
»Erniedrigst du dich nicht auch mit deiner dir eigenen Dummheit? Du bist viel zu ernst Pol. Lerne zu lachen und hin und wieder ein wenig Spaß zu haben.«
»Das Leben ist ernst Mutter.«
»Ich weiß, aber es soll auch Spaß machen. Lern von deinem Vater, wie man sich seines Lebens freut Polgara. Du wirst noch genug Zeit zum Weinen haben, aber du mußt auch wissen, wie man lacht«
Mutters Duldsamkeit bereitete mir eine Menge Sorgen, und ihre Beobachtungen bezüglich meiner Veranlagung fand ich noch viel besorgniserregender.
Über die Jahrhunderte habe ich sehr viel Erfahrung mit Heranwachsenden gesammelt, und ich habe herausgefunden, daß diese linkischen halben Kinder sich im allgemeinen bei weitem zu ernst nehmen. Außerdem bedeutet der äußere Schein einem Heranwachsenden alles. Ich nehme an, es handelt sich dabei um eine Art Schauspielerei. Der Heranwachsende weiß, daß das Kind ganz dicht unter der Oberfläche lauert, aber er würde eher sterben, als es herauszulassen. Ich machte da keine Ausnahme. Ich war so begierig aufs ›Erwachsen sein‹, daß ich mich einfach nicht mehr entspannen und das Leben genießen konnte.
Die meisten Leute durchleben dieses Stadium und entwachsen ihm. Viele jedoch tun das nicht. Die Pose wird dann wichtiger als die Wirklichkeit, und die armen Leute werden zu hohlen Menschen, die für immer erfolglos danach streben, sich einer unerreichbaren Form anzupassen.
Genug davon. Ich werde keine Abhandlung über die verschiedenen Stufen der menschlichen Entwicklung schreiben. Bis ein Mensch allerdings lernt, über sich selbst zu lachen, ist sein Leben eine Tragödie – zumindest wird er es so sehen.
Die Jahreszeiten setzten ihren stetigen Wechsel fort, und die kleine Lektion, die Mutter mir erteilt hatte, verringerte meinen inneren Widerstand gegen Vater. Die Fassade hielt ich aber natürlich aufrecht. Ganz gewiß wollte ich nicht, daß der alte Narr sich einbildete, ich wäre ihm gegenüber weich geworden.
Und dann, kurz nachdem meine Schwester und ich sechzehn geworden waren, stattete der Meister meinem Vater einen Besuch ab und erteilte ihm einige ziemlich genaue Anweisungen. Eine von uns – entweder Beldaran oder ich – mußte die Gemahlin von Riva Eisenfaust und somit Königin von Riva werden. Vater entschloß sich in für ihn untypischer weiser Voraussicht, den Besuch zunächst einmal für sich zu behalten. Obwohl ich in meinem damaligen Lebensabschnitt sicher kein ausgeprägtes Interesse daran hatte, mich zu verheiraten, hätte mein Hang zum Konkurrenzdenken mich zu jeder erdenklichen Torheit verleiten können.
Mein Vater gibt ziemlich freimütig zu, daß er schwer versucht war, sich meiner durch den einfachen Kunstgriff zu entledigen, mich an den armen Riva zu verheiraten. Die ABSICHT – das Geschick, wenn ihr so wollt –, welches uns alle leitet, verhinderte diese für ihn verlockende Lösung jedoch. Beldaran war seit der Zeit vor ihrer Geburt darauf vorbereitet worden, Riva Eisenfaust zu ehelichen. Ich jedoch offensichtlich nicht.
Trotzdem kränkte mich die Zurückweisung. Ist das nicht idiotisch? Ich hatte mich auf einen Wettstreit eingelassen, dessen Preis ich überhaupt nicht wollte, aber als ich den Wettstreit verlor, verspürte ich den Stachel der Niederlage recht schmerzhaft. Mit meinem Vater sprach ich mehrere Wochen lang überhaupt nicht, und zu meiner Schwester war ich fürchterlich schnippisch.
Dann kam Anrak in unser Tal, um uns zu holen. Mit der Ausnahme des
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