Polgara die Zauberin
auch nur andeutete, die Sonne könnte möglicherweise am nächsten Morgen wieder aufgehen. Wie dem auch sei, Zedar weilte die ganze Zeit über bei Torak in Ashaba, während Einauge wie wild religiöse Erfahrungen sammelte.« Onkel Beldin legte eine Pause ein. »Mir ist gerade ein interessanter Gedanke gekommen«, sinnierte er. »Wenn der Geist der Prophezeiung von jemanden Besitz ergreift, scheint er dessen Verstand auszulöschen. Torak stand wahrscheinlich all die Jahre über auf etwa demselben geistigen Niveau wie jener Idiot am Ufer des Mrin.«
»Und, was hat das für uns zu bedeuten?« wollte Vater wissen.
Beldin zuckte die Schultern und kratzte sich den Bauch. »Ich fand es nur interessant. Nun, am Ende erwachte Torak aus seiner hirnlosen Träumerei und verließ Ashaba, wobei er die Sonne verdunkelte. Er hatte keine Ahnung, was seine Angarakaner inzwischen getrieben hatten. In seinem eisernen Turm in Cthol Mishrak und in noch höherem Maße in Ashaba hatte er in völliger Zurückgezogenheit von der Welt gelebt und war seit ungefähr achtundvierzig Jahrhunderten nicht mehr auf dem laufenden. Auf dem Weg in seine Hauptstadt hielt er in Mal Yaska an, und das gab Urvon Gelegenheit, ihm eine lange Beschwerdeliste zu überreichen. Ganz O ben auf dieser Liste stand, daß die Generäle in Mal Zeth ihn ignorierten, und Urvon erträgt es nicht, wenn man ihn ignoriert. Er klärte seinen Meister darüber auf, daß die Generäle allesamt unverbesserliche Ketzer seien. Und da Urvon als erster mit ihm sprach und sehr schnell redete, verließ Torak Mal Yaska in der festen Überzeugung, Mal Zeth sei eine Brutstätte weltlicher Ketzerei. Er entvölkerte die Stadt buchstäblich, als er dort ankam. Dann ließ er Urvon und seine Grolims auf den Rest des Kontinents los, und die Priesterschaft begann mit ihren Opfermessern alte Rechnungen zu begleichen. Die Altäre Toraks waren jahrelang rot von Blut.«
Ich schauderte.
»Es war vermutlich Zedar, der Torak zu guter Letzt davon überzeugte, daß es nicht der beste Weg sei, sich auf einen Eroberungskrieg vorzubereiten, indem man seine eigene Armee niedermetzelte. Deshalb zügelte Torak Urvon schließlich. Inzwischen hatten die Angarakaner, Melcener und Karandeser so tödliche Angst vor den Grolims, daß sie ins Feuer marschiert wären, wenn Urvon es ihnen befohlen hätte. Es war der vermutlich erstaunlichste Rückschritt der Weltgeschichte. Eine ganze Zivilisation fiel in zehn Jahren ins Steinzeitalter zurück. Im Augenblick ist der durchschnittliche Malloreaner einem Thull ebenbürtig. Urvon ist sogar so weit gegangen, Lesen zu einem todeswürdigen Verbrechen zu erklären – mit Ausnahme der Grolims natürlich –, aber selbst in den Bibliotheken der Grolims wurden alle weltlichen Bücher entfernt. Ich warte nur darauf, daß er das Rad mit seinem Bannspruch belegt.«
Vaters Gesicht nahm einen zutiefst bestürzten Ausdruck an. »Sie verbrennen Bücher?« rief er aus.
»Laß dir keine grauen Haare darüber wachsen, Belgarath«, empfahl Onkel Beldin ihm. »Die Gelehrten an der Universität von Melcene haben ihre Bibliotheken weggeschafft und an Orten versteckt, wo die Grolims sie nicht finden können. Und falls auch das nichts fruchten sollte, so haben die Dalaser in Kell vermutlich Abschriften von jedem Buch, das jemals verfaßt wurde, und die Grolims trauen sich nicht einmal in die Nähe von Kell.«
»Ich weiß nicht, ob ich mich hintrauen würde«, gestand Vater. »Die Dalaser sind ein sehr ungewöhnliches Volk.«
»›Ungewöhnlich‹ ist ziemlich untertrieben«, meinte Beldin. »Wie dem auch sei, die Armee, die aus Mallorea kommt, wird viele leere Köpfe zählen – den Verstand haben sie ihnen ausgetrieben.«
»Das sind die besten Gegner«, erwiderte Vater mit beinah fröhlicher Genugtuung. »Gib mir stets einen dummen Gegner.«
»Ich versuche, dran zu denken.« Dann ließ Onkel den Blick schweifen. »Gibt es hier irgendwas zu trinken?«
»Vielleicht zum Abendessen«, sagte ich.
»Warum nicht vorher?«
»Ich sähe es nicht gern, wenn du dir den Appetit verderben würdest liebster Onkel.«
Der einzige Zweck der drohenden angarakanischen Invasion war die Zurückeroberung des Orb, daher mußten die Alorner die Hauptlast des Angriffs tragen. Vater und ich hatten sie mit weitaus mehr Informationen versorgt als die nichtalornischen Herrscher. Als jedoch die Murgos und Nadraker die Karawanenstraßen im Herbst 4846 schlossen, ahnten auch die Tolnedrer, daß etwas Bedeutendes im Gange war.
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