Polgara die Zauberin
er es bedauere, nicht mehr ›Druck auf mich ausgeübt zu haben‹.
Ist das nicht eine absurde Ausdrucksweise? Aus irgendeinem Grund tauchte Anrak plötzlich als Zimmermädchen mit einem heißen Bügeleisen in der Hand vor meinem geistigen Auge auf. Tut mir leid.
Sein reumütiges Eingeständnis machte den Morgen für mich komplett und eröffnete mir ganz neue Perspektiven. Angehimmelt zu werden, ist eine ziemlich angenehme Freizeitbeschäftigung, findet ihr nicht auch? Nicht genug damit, erhoben mich sowohl Anrak als auch sein Vetter automatisch in den Adelsstand, indem sie mich ›Lady Polgara‹ nannten, und das hat ebenfalls einen nicht unangenehmen Klang.
Dann tischte Rivas Vetter eine Reihe von fatalen Mißverständnissen bezüglich dessen auf, was Vater unser ›Talent‹ nennt. Er war der festen Überzeugung, meine Verwandlung sei das Ergebnis von Zauberei, ja, er verstieg sich sogar zu der Behauptung, ich könne an zwei Orten – und Zeiten – gleichzeitig sein. Ich zog ihn dafür sanft am Bart. Ich merkte, daß ich Anrak immer lieber gewann. Er sagte so reizende Dinge über mich.
Es war vielleicht gegen Mittag, als wir zum Hafen hinuntergingen, um uns an Bord von Rivas Schiff zu begeben. Beldaran und ich hatten das Meer noch nie gesehen – ein Schiff übrigens auch noch nicht –, und wir waren beide ein wenig ängstlich wegen der bevorstehenden Seereise. Das Wetter war gut, aber da draußen schäumten all diese Wellen. Ich weiß nicht mehr genau, was wir erwartet hatten, aber alle Teiche im Tal hatten völlig glatte Wasseroberflächen, und so waren wir auf Wellen einfach nicht vorbereitet. Außerdem hatte das Meer einen ganz eigenen, würzigen Duft, der die eher widerwärtigen Gerüche überlagerte, die allen Häfen dieser Welt zu eigen sind. Ich nehme an, es entspricht der menschlichen Natur, sich seiner Abfälle auf die denkbar einfachste Weise zu entledigen. Trotzdem erschien es mir als wenig vorausschauend, sie einem Gewässer anzuvertrauen, das sie mit der nächsten Flut wieder zurückspült.
Das Schiff wirkte recht groß auf mich, die Kabinen unter Deck jedoch fand ich winzig und beengend, und alles schien mit einer schwarzen, schmierigen Substanz überzogen zu sein. »Was ist das, womit sie die ganzen Wände zugeschmiert haben?« fragte ich Onkel Beldin.
»Teer«, gab er mir mit einem gleichmütigen Achselzucken zur Antwort. »Es hält das Wasser draußen.«
Das beunruhigte mich. »Das Schiff ist aus Holz gemacht«, sagte ich. »Schwimmt Holz denn nicht?«
»Nur, wenn es ein solides Stück ist, Pol. Das Meer versucht, eine glatte Oberfläche zu schaffen, und Hohlräume unterhalb dieser Oberfläche stören es, so daß es sich bemüht einzusickern und diese Hohlräume zu füllen. Außerdem verhindert der Teer, daß das Holz fault«
»Ich mag keinen Teer.«
»Ich bin sicher, das kränkt ihn ungeheuer.«
»Du mußt immer witzig sein, Onkel, nicht wahr?«
»Betrachte es meinetwegen als Charakterfehler.« Er grinste.
Nachdem Beldaran und ich unsere Besitztümer in der kleinen Kabine verstaut hatten, gingen wir hoch an Deck. Rivas Seeleute machten das Schiff fertig zum Ablegen. Es waren kräftige, bärtige Männer, viele von ihnen nackt bis zur Taille. All diese nackte Haut machte mich aus irgendeinem Grund ein bißchen nervös.
Überall schienen Taue zu sein – ein unmögliches Gewirr, das über Rollen lief und nach oben in einem wirren Durcheinander entschwand. Die Seeleute lösten die Leinen, die das Schiff am Kai festhielten, stießen ab und nahmen ihre Plätze an den Rudern ein. Ein Grobian mit einem bösartigen Gesicht nahm mit gekreuzten Beinen im Heck Platz und begann rhythmisch auf eine mit Haut bespannte Trommel zu schlagen, um die Rudergeschwindigkeit vorzugeben. Langsam bewegte sich das Schiff durch den vollen Hafen auf die offene See zu.
Nachdem wir an den Wellenbrechern vorbeigerudert waren, holten die Seemänner die Ruder ein und begannen an verschiedenen Tauen zu ziehen. Ich vermag noch heute nicht so recht zu verstehen, wie ein Seemann das eine vom anderen Tau unterscheiden kann, aber Rivas Leute schienen zu wissen, was sie taten. Mächtige Querbalken mit fest aufgerollten Segeln schoben sich die Masten hinauf, während die singenden Seemänner im Gleichklang, den das Lied vorgab, an den Tauen zogen. Die Rollen quietschten, als die segeltragenden Balken bis zu den Spitzen der Masten emporstiegen. Dann machten andere Seeleute, behende wie Affen, hoch oben die Segel los und ließen
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