Polgara die Zauberin
noch Riva mich je leiden sehen würden und daß ich darüber hinaus etwas unternehmen würde, um ihnen zu zeigen, daß es mir überhaupt nichts ausmachte, daß meine Schwester mich freiwillig im Stich ließ. Ich befragte Vater über einige Dinge, die mich vorher nicht interessiert hatten – Bäder, Schneider, Kämme und ähnliches. Ich würde meiner Schwester zeigen, wie wenig es mir bedeutete. Wenn ich litt, wollte ich wenigstens dafür sorgen, daß sie auch litt.
Mit dem Baden gab ich mir besondere Mühe. In meinen Augen handelte es sich um eine Art von Begräbnis – mein eigenes –, und so erschien es mir nur angemessen, daß ich bei der Aufbahrung so gut wie möglich aussehen würde. Zuerst bereiteten mir meine abgekauten Fingernägel einige Sorgen, aber dann fiel mir unsere Gabe wieder ein. Ich konzentrierte mich auf meine Nägel, und dann sagte ich: »Wachst!«
Und das löste dieses Problem.
Dann schwelgte ich für mindestens eine Stunde im Badewasser. Ich wollte natürlich den lange angesammelten Schmutz lösen, das schon, aber zu meiner Überraschung entdeckte ich, daß Baden Spaß machte.
Nachdem ich aus der faßähnlichen Holzwanne gestiegen war, rubbelte ich mich mit einem Handtuch ab, legte ein Gewand an und setzte mich auf einen Hocker, um mich meines Haars anzunehmen, was sich als nicht leicht erwies. Seit dem letzten Platzregen im Tal hatte mein Haar kein Wasser mehr gesehen, und es war so verfilzt, daß ich beinah aufgegeben hätte. Es kostete mich erhebliche Anstrengungen, und es tat sehr weh, aber zu guter Letzt gelang es mir, es in einen Zustand zu versetzen, dem man mit einem Kamm zu Leibe rücken konnte.
Ich schlief nicht sonderlich gut in jener Nacht und stand früh auf, um mit meinen Vorbereitungen fortzufahren. Ich setzte mich vor einen Spiegel aus poliertem Messing und begutachtete mein Spiegelbild kritisch. Zu meiner nicht geringen Verwunderung entdeckte ich, daß ich nicht annähernd so häßlich war, wie ich immer gedacht hatte. Um ehrlich zu sein, ich war sogar recht hübsch.
»Laß dir das ja nicht zu Kopfe steigen. Pol«, meldete Mutters Stimme sich in meinen Gedanken. »Du hast doch nicht allen Ernstes angenommen, ich könne einer häßlichen Tochter das Leben geschenkt haben, oder?«
»Ich habe mich immer für entsetzlich abstoßend gehalten, Mutter«, sagte ich.
»Du hast dich geirrt. Aber übertreib es nicht mit deinen Haaren. Die weiße Locke genügt, um dich hübsch aussehen zu lassen.«
Das blaue Kleid, das Vater für mich besorgt hatte, war wirklich recht hübsch. Ich zog es an und betrachtete mich im Spiegel. Das, was ich sah, machte mich ein wenig verlegen. Es bestand kein Zweifel daran, daß ich eine Frau war. Ich hatte gewisse weibliche Merkmale mehr oder weniger ignoriert, aber jetzt war das nicht mehr möglich. Das Kleid schrie es förmlich in die Welt hinaus. Nur mit den Schuhen gab es ein kleines Problem. Sie liefen spitz zu und hatten mittelhohe Absätze. Meine Füße schmerzten. Ich war Schuhe nicht gewöhnt, aber ich biß die Zähne zusammen und duldete still.
Je länger ich mich im Spiegel betrachtete, desto mehr gefiel mir, was ich sah. Die Raupe, die ich einmal gewesen war, hatte sich soeben in einen Schmetterling verwandelt. Ich haßte Riva immer noch, aber mein Haß hatte sich ein wenig besänftigt. Es hatte nicht in seiner Absicht gelegen, aber seine Ankunft in Gamaar hatte mir offenbart, wer ich wirklich war.
Ich war hübsch! Ich war sogar mehr als nur hübsch!
Mein Sieg an jenem Morgen wurde vollkommen, als ich sittsam – ich hatte Stunden geübt – das Gemach betrat, in dem sie alle saßen. Mit den Reaktionen von Riva und Anrak hatte ich mehr oder weniger gerechnet. Unerfahren wie ich war, wußte ich doch, mit welchen Augen sie mein verändertes Äußeres betrachten würden. Das Gesicht, das ich ansah, war Beldarans.
Insgeheim hatte ich wohl die Hoffnung gehegt, dort einen Schimmer von Neid zu entdecken. Ich hätte es besser wissen sollen. Ihre Miene war ein ganz klein wenig seltsam, und als sie das Wort ergriff, geschah es in ›Zwilling‹. Das, was wir austauschten, war ausschließlich für uns beide bestimmt. »Gut, endlich«, war alles, was sie sagte, und dann umarmte sie mich herzlich.
K APITEL 4
Ich gebe ja zu, daß ich ein bißchen enttäuscht war, daß meine Schwester nicht grün anlief vor Neid, aber kein Triumph ist jemals vollkommen, nicht wahr?
Anraks Gesicht nahm einen betrübten Ausdruck an, und er seufzte. Er erklärte Riva, wie sehr
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