Polgara die Zauberin
bestimm ten Ort im Auge?«
»Ich glaube, ich werde den Jungen nach Sendarien bringen. Nach Vo Mimbre sind nicht mehr allzu viele Murgos übrig, und die wenigen, die es noch gibt, wird man in Sendarien ganz bestimmt nicht willkommen heißen – oder irgendwo anders, um genau zu sein.« Er zuckte die Schultern. »Das ist deine Entscheidung, Pol. Da Gelane deiner Verantwortung untersteht, bin ich mit allem einverstanden, was du beschließt.«
»Danke.« Ich wollte eigentlich gar nicht sarkastisch sein, aber es hörte sich so an. »Wartet im Tal eine drin gende Aufgabe auf dich?«
»Ich brauche Urlaub, dringend. Während der letzten Jahre habe ich wenig Schlaf bekommen.« Er kratzte sich die bärtige Wange. »Ich möchte, daß alles wieder seinen gewohnten Lauf nimmt, und dann werde ich einmal nach den Familien sehen, die ich das letzte Jahrtausend über beobachtet habe. Ich möchte sicherstellen, daß sie noch intakt sind.«
»Und wenn nicht?«
»Dann werde ich ein paar anderweitige Vorkehrungen treffen müssen.«
»Viel Spaß, Vater, aber bleib mir aus den Augen. Ich meine es diesmal ernst.«
»Ganz wie du möchtest Pol. Grüße Gelane von mir.«
Dann ritt er nach Süden in Richtung des Tals, während die Algarer und ich zur Feste weiterzogen. Auf dem Ritt kam mir der Gedanke, daß ich Vater manchmal unter schätzte. Ich hatte einer Familie Jahrhunderte gewidmet, wohingegen Vater in derselben Zeit mehrere von ihnen beaufsichtigt hatte. Das erklärte vermutlich, warum er meist wie ein heimatloser Vagabund wirkte.
Gelane war nun vierzehn, und das ist wohl das unan genehmste Alter für einen jungen Mann. Er war kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen, und er grollte bitterlich, weil er bei dem Spaß von Vo Mimbre nicht hatte mitmachen dürfen.
Ein Teil des Problems – wahrscheinlich der größte – ergab sich daraus, daß Gelane wußte, wer er war. Als ich seinen Vater Garel auf die Feste gebracht hatte, war er unter ChoRams persönlichen Schutz gestellt worden.
ChoRam hatte nicht ganz verstanden, warum es so wichtig war, die Identität seines Mündels geheim zu halten. Da die algarische Gesellschaft sich gegen Fremde abschottet, betrachten sich alle Algarer als Verwandte.
Sie machen sich nicht die Mühe, Geheimnisse zu haben – vor wem denn auch. So kam es, daß Gelane immer ge wußt hatte, wer er war, und daß die anderen das ebenfalls wußten. Er tat nicht gerade vornehm, war es aber ge wöhnt, daß die Menschen ihn mit ›Euer Hoheit‹ anrede ten. Und er benahm sich ausgesprochen gebieterisch, was fast unmittelbar nach meinem Eintreffen auf der Feste zu Problemen führte.
»Ich denke nicht, daß ich nach Sendarien gehen möch te, Tante Pol«, entgegnete er, als ich ihm meine Absicht mitteilte. »Es würde mir nicht sehr gefallen.«
»Es muß dir auch nicht gefallen, Gelane«, ließ ich ihn wissen, »aber genau dorthin werden wir gehen.« »Warum können wir nicht hier bleiben? Alle meine Freunde sind hier!«
»Du wirst in Sendarien neue finden.«
»Ich habe gewisse Rechte, Tante Pol.« Warum müssen nur alle Heranwachsenden bei Streitereien immer von ihren Rechten zu reden anfangen? »Selbstverständlich hast du die, Liebes«, flötete ich honigsüß. »Du hast das absolute Recht, deine Entschei dungen von mir treffen zu lassen.«
»Das ist nicht fair!«
»Das hat auch niemand behauptet. Und jetzt geh! Sag deinen Freunden Lebewohl und fang mit dem Packen an.
Wir verlassen die Feste morgen früh.«
»Du kannst mich nicht herumkommandieren!« »Da irrst du dich. Ich kann. Ich bin sehr gut im Her umkommandieren – aus irgendeinem Grund tun die Menschen am Ende immer, was ich ihnen sage. Da ist die Tür. Benutz sie – oder hättest du lieber, daß ich dich durchwerfe?«
So hart mußte ich nur äußerst selten mit den Erben Ei senfausts umspringen, aber Gelane war in gewisser Wei se aus dem Ruder gelaufen. Sobald er sich türenknallend entfernt hatte, schritt ich durch die hallenden Säle der Feste, um ein Wort mit seiner Mutter Aravina zu reden.
Es kostete mich nur wenige Minuten, die Ursache von Gelanes Unbotmäßigkeit herauszufinden. Aravina war eine ausgesprochen hübsche algarische Dame, aber der frühe Tod von Gelanes Vater hatte ihren Geist zerrüttet. Sie war so in ihre Trauer versunken, daß sie dem Benehmen ihres Sohnes wenig Beachtung geschenkt hatte. Es liegt in der Natur aller Heranwachsenden, die Grenzen zu testen, um zu sehen, wie weit sie gehen können. Kluge Eltern lassen nicht zu, daß das
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