Polgara die Zauberin
nicht tot. Er schläft nur. Sobald du dir Rivas Krone aufsetzt und das Schwert von der Wand nimmst, wird er erwachen und dich besuchen. Das möchten wir aber nicht. Also konzentriere dich auf Fässer. Und jetzt iß etwas und geh zu Bett. Morgen mußt du früh aufstehen. Osrig erwartet dich in seinem Laden, sobald es hell wird.«
»Osrig?«
»Dein Meister. Er ist derjenige, der dir beibringen wird, wie man Fässer herstellt, die dichthalten.« Ich benutze nicht gerne das Wort ›Zufall‹, da ich die Erfahrung gemacht habe, daß in meiner ganz speziellen Familie der pure Zufall nur selten zum Tragen kam.
Dieses Mal jedoch mochte der Zufall sehr wohl eine Rolle spielt haben. Ich hätte Gelane eine Lehrstelle bei jedem von mindestens zwölf der hiesigen Handwerksmeister kaufen können, die alle ganz unterschiedliche Gewerbe betrieben, aber Osrig erfüllte in meinen Augen alle Voraussetzungen. Er war tüchtig, er war ein guter Lehrer, er wurde alt, und er hatte keinen Sohn, der darauf wartete, das Familienunternehmen zu übernehmen. Sobald Gelane das Handwerk gelernt hätte, konnte ich Osrig auskaufen und meinen widerstrebenden Neffen sein eigenes Geschäft eröffnen lassen. Das war mein Ziel. Das Endprodukt dieses Gewerbes interessierte mich weniger. Das Wichtigste war, ihn so im gemeinen Volk aufgehen zu lassen, daß er, sollte sich Chamdar wieder auf die Suche nach ihm begeben, gar nicht zu entdecken wäre. Natürlich konnten wir auch darauf hoffen , daß Chamdar die Schlacht von Vo Mimbre nicht überlebt hätte, aber langjährige Erfahrung hat mich gelehrt, mich nicht allzu sehr auf die Hoffnung zu verlassen.
So richteten wir uns in unserem neuen Leben ein. Ge lane lernte, Fässer herzustellen, während ich mit Aravina zu Hause blieb und alles versuchte, sie der Melancholie zu entreißen, die nah daran war, sie völlig lebensuntüch tig zu machen. Dieser Gemütszustand ist nur sehr schwer zu behandeln. Ein aufmunterndes ›Lachen, Lie bes!‹ hilft in den seltensten Fällen, ganz gleich, wie oft man es wiederholt. Es gibt gewisse Kräuter und Kräu termischungen, die eine solch überwältigende Traurig keit betäuben, aber fast ständig betäubte Menschen funk tionieren nicht mehr besonders gut.
Osrig war, wie ich bereits erwähnte, ein ausgezeichne ter Lehrer, und Gelane fertigte bald Fässer, aus denen nur ganz wenig wieder herauslief. Er wurde beständig besser. Bei seinem ersten Faß strömte das Wasser aus jeder Fuge. Bei seinem zweiten spritzte es. Beim dritten tröpfelte es. Beim vierten sickerte es. Die darauffolgen den waren fast dicht, und er begann einen gewissen Stolz auf seine Arbeit zu entwickeln. Wenn ein Handwerks mann einmal dieses Stadium erreicht hat, ist die Schlacht fast gewonnen. Ob ihm die Vorstellung gefiel oder nicht, Gelane war jetzt ein Küfer.
Dann, als unser junger Küfer sechzehn war, begegnete er einem ausnehmend hübschen Mädchen namens Enal la, der Tochter eines hiesigen Zimmermanns, und in meinem Kopf begann die vertraute Glocke zu läuten.
Gelane war völlig vernarrt in sie und sie in ihn, und so begannen sie miteinander auszugehen. Es handelt sich hier um einen sendarischen Euphemismus für das, was ein junges Pärchen tut, wenn es nach einer Gelegenheit sucht, sich gemeinsam davonzustehlen und die Unter schiede zwischen Jungen und Mädchen zu erkunden. Da Enallas Mutter und ich aber Schritte unternahmen, um das zu unterbinden, gelangten Gelane und Enalla nur zu einigen flüchtigen, verstohlenen Küssen.
Nach etwa einem Monat waren sie offiziell verlobt und die Küsse somit schon akzeptabler – innerhalb ge wisser streng kontrollierter Grenzen. Kurz nach Gelanes siebzehntem Geburtstag heirateten Gelane und seine strahlende Enalla. Die vorausgegangene Verlobungszeit hatte sich als recht schwerfällig und einfallslos erwiesen, aber schließlich lebten wir in Sendarien, und die örtliche Gesellschaft aus Händlern und Handwerkern war sehr konservativ. Konservative Menschen lieben keine Überraschungen – wie zum Beispiel die rituelle Entführung der zukünftigen Braut durch ihren hingebungsvollen Bräutigam und seine halbbetrunkenen Freunde, die in einigen der rüpelhafteren Klans Algariens an der Tages ordnung sind.
Nach der Trauung gab es das offizielle Hochzeitsmahl – das traditionelle üppige Fest, das die Anwesenheit der gesamten Nachbarschaft garantiert. Nachdem er sich mehr als satt gegessen hatte, nahm Gelanes grauhaariger Arbeitgeber mich zu einem ernsten Gespräch
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