Polgara die Zauberin
ihres Vaters Wollsocken zu stopfen. »Ihr habt ein gemütliches Häuschen hier, Luana«, begann ich.
»Es regnet nicht durch«, antwortete sie ausweichend. Luana trug ein schlichtes graues Kleid, und ihr Haar war zu einem strengen Nackenknoten zurückgebunden. Das schwere Schielen mußte ihr gesamtes Leben bestimmt haben. Sie hatte nie geheiratet und würde es wohl auch nicht mehr tun. Obwohl sie eigentlich hübsch aussah, unternahm sie keinen Versuch, sich herauszuputzen. Es war noch nicht so lange her, daß ich häßlich gewesen war. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie man sich fühlte.
»Hat Euer Vater diese ›Anfälle‹ häufig?« erkundigte ich mich, indem ich mich dem Thema ziemlich vorsichtig näherte.
»Dauernd«, sagte sie. »Manchmal faselt er stundenlang so weiter.«
»Wiederholt er sich?«
»Das macht es ja so ermüdend, Lady Polgara. Ich habe diese ›Ansprachen‹ von ihm so oft gehört, daß ich sie wahrscheinlich selbst aufsagen könnte – aber das muß ich ja gar nicht.«
»Das habe ich nicht ganz verstanden, Luana.«
»Es gibt bestimmte Wörter, die seine ›Vorträge‹ auslösen. Wenn ich ›Tisch‹ sage, bekomme ich die eine Ansprache – die habe ich schon Dutzende Male gehört. Wenn ich ›Fenster‹ sage, bekomme ich eine andere zu hören, – die habe ich häufiger über mich ergehen lassen müssen, als mir lieb war.«
Wir waren gerettet! Mutter hatte recht gehabt! Luana konnte den gesamten Darinekodex mit einer Reihe von Schlüsselwörtern abrufen. Nun mußte ich nur noch einen Weg finden, mich ihrer Mitarbeit zu versichern. »Sind Eure Augen schon immer so gewesen?« fragte ich sie. Ich vermute stark, daß Mutter etwas mit dieser unverblümten Frage zu tun hatte.
Luanas Miene wurde starr vor Zorn. »Ich vermag nicht zu erkennen, was Euch das angeht«, entgegnete sie ziemlich aufgebracht.
»Ich will Euch nicht beleidigen, Luana«, versicherte ich ihr. »Ich verfüge aber über eine gewisse Erfahrung als Ärztin, und ich glaube, das könnte in Ordnung gebracht werden.«
Sie starrte mich an – nun, ihre Nase, um genau zu sein, aber ich glaube, ihr habt mich verstanden. »Das könntet Ihr wirklich?« fragte sie mit fast nackter Gier.
»Sag ja«, drängte Mutter mich.
»Ich bin sicher, daß ich es kann«, antwortete ich.
»Ich würde alles dafür geben – alles! – Lady Polgara. Ich kann es nicht ertragen, in einen Spiegel zu sehen. Ich traue mich nicht aus dem Haus, weil ich all das Gelächter nicht mehr ertragen kann.«
»Ihr sagtet, Ihr könntet Euren Vater all seine Ansprachen wiederholen lassen?«
»Warum sollte ich mir das antun wollen?«
»Damit Ihr Euch selbst anschauen könnt ohne Euch zu schämen, Luana. Ich werde Euch ein wenig Geld geben, damit Ihr Schreiber anheuert, die festhalten, was Euer Vater sagt. Könnt Ihr lesen und schreiben?«
»Ja. Lesen füllt die leeren Stunden aus, und eine Frau, die so häßlich ist wie ich, hat eine Menge leerer Stunden.«
»Gut. Ich möchte, daß Ihr Euch durchlest, was die Schreiber aufschreiben, um sicherzustellen, daß es korrekt ist.«
»Das kann ich tun, Lady Polgara. Wie ich schon sagte, ich könnte vermutlich all die Ansprachen meines Vaters aus dem Gedächtnis aufsagen.«
»Wir sollten es direkt aus seinem Mund niederschreiben.«
»Warum ist das Gefasel eines senilen alten Mannes so bedeutsam, Lady Polgara?«
»Euer Vater mag senil sein oder nicht, Luana, aber das ist im Grunde nicht von Bedeutung. Die Ansprachen kommen von Belar und den anderen Göttern. Sie sagen meinem Vater und mir, was wir tun sollen.«
Ihre verrutschten Augen wurden sehr groß. »Werdet Ihr uns helfen, Luana?«
»Das werde ich, Lady Polgara – wenn Ihr meine Augen richtet.«
»Warum bringen wir es nicht sofort in Ordnung?« schlug ich vor.
»Hier? Unter den Blicken der Männer?«
»Sie werden gar nicht bemerken, was wir tun.«
»Wird es weh tun?«
»Wird es?« fragte ich Mutter.
»Nein. Folgendes mußt du tun.« Es folgten einige sehr detaillierte Anweisungen.
Es war keine medizinische Prozedur. Selbst Baltens Bestecke wären nicht klein genug für diese Art von Präzisionsarbeit gewesen, und so machte ich es ›auf die andere Art‹. Es betraf die Muskeln, die Luanas Augen festhielten, und einige andere Dinge, die mit der Art und Weise zusammenhingen, wie ihre Augen sich scharfstellten. Der zeitaufwendigste Teil bestand darin, jene winzigen Einstellungen vorzunehmen, die alle Hinweise auf ihren früheren Zustand zum Verschwinden brachten. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher