Polgara die Zauberin
Ebene von Sendarien hinunter. Es schneite noch immer, aber zumindest ließ der Wind nach. Dann erreichte ich die Küste, und der Kampf entbrannte von neuem. Der Sturm, der über das Meer der Stürme brauste, war nicht einen Deut weniger wild als derjenige in den Bergen, und zwischen den turmhohen Wellen gab es keinen Flecken, an dem man sich kurz hätte ausruhen können.
Ich brauchte insgesamt fünf Tage, um zur Insel der Winde zu gelangen, und zitterte vor Erschöpfung, als ich früh am Morgen des sechsten Tages auf den Zinnen der Zitadelle landete. Mein Körper verlangte sehnsüchtig nach Ruhe, aber dafür war keine Zeit. Ich hastete durch die kahlen Gänge zu den königlichen Gemächern und betrat sie, ohne mir die Mühe des Anklopfens zu machen.
Der Hauptraum dieser Wohngemächer war mit achtlos verstreuten Kleidungsstücken bedeckt, und auf dem Tisch standen die Überreste halb gegessener Mahlzeiten. Eisenfaust, seine graue Kleidung zerknittert und das Gesicht unrasiert, schreckte bei meinem Eintreten aus einer Art Dämmerzustand auf. »Den Göttern sei Dank!« rief er aus.
»Tante Pol!« begrüßte mich mein Neffe, der mindestens ebenso abgehärmt aussah wie sein Vater. Daran war mittlerweile um die Zwanzig, und ich wunderte mich, wie groß er geworden war.
»Wo ist sie?« fragte ich.
»Sie ist im Bett, Pol«, teilte Riva mir mit. »Sie hatte eine schlimme Nacht und ist sehr erschöpft. Sie hustet die ganze Zeit und bekommt scheinbar keine Luft mehr.«
»Ich muß mit ihren Ärzten sprechen«, beschied ich ihn kurzangebunden. »Dann möchte ich sie mir ansehen.«
»Äh –« Riva kam ins Schwimmen. »Wir haben eigentlich noch keine Ärzte hinzugezogen, Pol. Aber ich glaube, Elthek, der rivanische Erzpriester, hat bei ihr gebetet. Er behauptet, Ärzte seien nur Zeit und Geldverschwendung.«
»Aber er sagte uns, Mutter ginge es schon besser«, fügte Daran hinzu.
»Wie will er das denn wissen?«
»Er ist Priester, Tante Pol. Priester sind sehr weise.«
»Ich habe noch keinen Priester kennengelernt, der seine linke von seiner rechten Hand unterscheiden konnte. Bring mich auf der Stelle zu deiner Mutter!« Ich warf einen Blick auf die Unordnung und den Abfall. »Und räumt das hier auf«, befahl ich ihnen.
Daran öffnete die Tür zum Schlafzimmer und spähte vorsichtig herein. »Sie schläft«, flüsterte er.
»Gut. Zumindest plagt euer Priester sie im Augenblick nicht mit seinem Hokuspokus. Von jetzt an haltet ihn von ihr fern!«
»Du kannst sie wieder gesund machen, Tante Pol nicht wahr?«
»Darum bin ich hier, Daran.« Ich bemühte mich, zuversichtlich zu klingen.
Ich erkannte meine Schwester kaum wieder, als ich an ihr Bett trat. Wieviel sie abgenommen hatte! Die Ringe unter ihren Augen sahen aus wie Prellungen, und ihr Atem kam stoßweise und gequält. Flüchtig berührte ich ihr abgezehrtes Gesicht und entdeckte, daß sie vor Fieber glühte. Dann tat ich etwas, das ich noch nie zuvor getan hatte. Ich schickte einen Suchgedanken in den Geist meiner Schwester und vereinigte meine Gedanken mit ihren.
»Polgara?« erreichte mich ihr Gedanke aus dem Schlaf, »Ich fühle mich gar nicht gut«
»Wo sitzt es, Beldaran?« fragte ich behutsam.
»Meine Brust. Mir ist so eng um die Brust« Dann verblaßte ihr halb schlummernder Gedanke.
Das hatte ich mehr oder weniger erwartet. Dieses verfluchte Klima auf der Insel der Winde brachte meine Schwester um.
Ich schickte meinen Gedanken weiter auf die Suche, tief ins Innere ihres Körpers. Wie ich erwartet hatte, lag das Zentrum ihrer Krankheit in ihrer Lunge.
Ich verließ das Schlafgemach und zog leise die Tür hinter mir zu. »Ich muß in die Stadt hinuntergehen«, ließ ich Riva und Daran wissen.
»Warum?« fragte mich Riva.
»Ich brauche einige Medikamente.«
»Elthek sagt, so etwas sei Hexerei, Pol«, wandte Riva ein. »Er sagt nur Gebete zu Belar könnten Beldaran gesund machen.«
Daraufhin tat ich einige Äußerungen, die vermutlich zu diesem Zeitpunkt besser ungesagt geblieben wären. Riva sah bestürzt drein, und Daran ließ die Kleidungsstücke wieder fallen, die er gerade aufgesammelt hatte. »Sobald sich meine Schwester wieder auf dem Weg der Besserung befindet, werde ich ein langes Gespräch mit diesem hochwürdigen rivanischen Erzpriester führen«, versprach ich ihnen durch zusammengebissene Zähne hindurch. »Fürs erste sagt ihm, daß er sich von Beldaran fernhalten soll. Sagt ihm, wenn er Beldarans Gemach noch ein einziges Mal betritt, wird er sich wünschen,
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