Polgara die Zauberin
Edelleuten und Gemeinen im Wald an den steilen Wänden der Schlucht zu verstecken. Sie sollten Eltheks Zeremonie mit eigenen Augen verfolgen, und dann, wenn wir genügend belastende Beweise gesammelt hatten – und die Kultanhänger so betrunken waren, daß sie nicht mehr stehen konnten –, würden wir die Soldaten vorschicken und sie umzingeln lassen. Erst am Tag vor dem Herbstäquinoktium teilten Kamion und ich Daran mit, daß er nicht mitkommen würde. »Ihr werdet später über sie zu Gericht sitzen, Eure Hoheit«, erklärte Kamion ihm, »Der Anschein von Unparteilichkeit wäre zunichte, wenn Ihr den Angriff führen würdet.«
»Aber –«, wollte Daran einwenden.
»Kein aber, Liebes«, sagte ich. »Wärst du tatsächlich König, sähe es vielleicht anders aus, aber du bist nur der Regent deines Vaters, so daß du ein bißchen vorsichtiger agieren mußt. Es ist deines Vaters Thron, den du schützt, nicht dein eigener.«
»Aber er wird es sein.«
»Zwischen ›wird sein‹ und ›ist‹ liegt ein himmelweiter Unterschied, Daran. In dieser Situation mußt du den Anschein der Unparteilichkeit erwecken. Deinen morgigen Abend kannst du damit verbringen, vor dem Spiegel Mienen der Empörung und des Zorns zu üben. Wenn dann Anrak, Kamion und ich die Kultanhänger vor dich bringen und Anklage gegen sie erheben, kann dir niemand vorwerfen, du seist von Anfang an Teil unseres Komplotts gewesen. Der Anschein ist sehr wichtig in solchen Situationen.«
»Eure Hoheit möge daran denken, daß Hexerei ein Kapitalverbrechen ist«, stellte Kamion heraus, »Tatsächlich könntet Ihr den ganzen Haufen auf den Scheiterhaufen schicken.«
»Könnte ich das wirklich, Tante Pol?« wollte Daran von mir wissen.
»Laß dich nicht hinreißen, Liebes. Aber wie du siehst, ist es ein Gnadenerweis, sie statt dessen nur zum Exil zu verurteilen.«
»Sinn und Zweck des Ganzen ist es auch, Euren Ruf zu festigen, Hoheit«, betonte Kamion.
»Ich finde es trotzdem nicht gerecht«, schmollte Daran.
»Nein, Eure Hoheit da habt Ihr recht. Es ist nicht gerecht, es ist Politik, und Politik soll auch nicht gerecht sein. Oh, was ich noch sagen wollte, am Ende des Prozesses wäret Ihr vermutlich gut beraten, eine Woche oder so verzweifelt um eine endgültige Entscheidung zu ringen.«
Daran sah ihn verständnislos an.
»Das verschafft mir ein wenig Zeit, die Nachricht von der Anklage und unseren Beweisen auf der Insel zu verbreiten – Öffentlichkeitsarbeit – Ihr versteht.«
»Ich weiß aber schon, wie mein Urteil lauten wird, Brand.«
»Natürlich weißt du das, Liebes«, beruhigte ich ihn. »Laß dir nur ein wenig Zeit. Gib Elthek und seiner Anhängerschar Gelegenheit, sich wirklich Sorgen zu machen, bevor du dein Urteil verkündest«
»Wo soll ich sie festhalten, während ich angeblich mit mir ringe?«
»Elthek verfügt über ziemlich ausgedehnte Verliese unter dem Belartempel, Eure Hoheit«, verkündete Kamion ohne den geringsten Anflug eines Lächelns. »Solange der noch steht –«
An diesem Punkt brach Daran in Gelächter aus.
Und dann war der Tag gekommen, und eine trübe Dämmerung, die Regen anzukünden schien, brach an. »Wundervoll«, sagte Anrak mürrisch, während er aus dem Fenster unseres blau verhangenen Besprechungszimmers blickte, als der Morgen den Himmel über der Insel färbte. »Ich hasse es, im Regen in den Wäldern herumzukriechen.«
»Du wirst schon nicht schmelzen«, versicherte ich ihm. »Wenn es dir nichts ausmacht, solltest du heute abend ein Stück Seife mitnehmen. Es wäre Zeit für dein jährliches Bad.«
»Ich glaube, du hast mir einen großen Gefallen getan, als du an jenem Tag im Tal meinen Heiratsantrag abgelehnt hast, Pol«, erwiderte er.
»Was höre ich da?« fragte Daran.
»Ich war damals jung und naiv, Daran«, rechtfertigte sich Anrak. »Manche Männer sind einfach nicht für die Ehe geschaffen.«
Da hatte er mich auf etwas gebracht. An seinem nächsten Geburtstag würde Daran dreiundzwanzig werden, und ich wollte wirklich nicht, daß er sich zu sehr ans Junggesellendasein gewöhnte.
Es hörte nicht mehr auf zu regnen an jenem Tag, ein diesiger, trüber Schleierregen, der um die Türme der Zitadelle wehte und Stadt und Hafen verfinsterte. Am späten Nachmittag indes klarte der Himmel auf, und wir bekamen einen jener prächtigen Sonnenuntergänge, für die es sich beinahe lohnt, in einem regnerischen Land zu leben.
Nein, ich hatte nichts damit zu tun. Ihr wißt ja, was mein Vater davon hält, am Wetter
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