Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polivka hat einen Traum (German Edition)

Polivka hat einen Traum (German Edition)

Titel: Polivka hat einen Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
Vom Netzwerk:
funktioniert: Die aufkeimende Wut verfliegt und lässt den Groll zurück – ein Groll, der sich nun eher gegen die Diätberaterin als gegen Hammel richtet.
    «Wenn ich Sie nicht hätte, Hammel», seufzt Bezirksinspektor Polivka. Er nickt dem freudestrahlenden Hammel zu und flüchtet aus dem Zimmer.

4
    «Gott sei Dank, du lebst noch! Was hab ich mir Sorgen gemacht!»
    Polivka schließt die Tür und blinzelt in die Dunkelheit, bis er den schmächtigen Schatten am anderen Ende des Vorraums erkennt. «Warum denn Sorgen?», fragt er müde.
    «Ohne ein Wort zu verschwinden, mitten in der Nacht, und noch dazu, wo’s heute sechsundzwanzig Jahre her ist, dass dein Vater …»
    «Ich war arbeiten. Das weißt du doch.»
    «Aber mitten in der Nacht?»
    «Es war nicht mitten in der Nacht, und auch, wenn’s mitten in der Nacht gewesen wäre …»
    «Sechsundzwanzig Jahre, so lang ist er unter der Erde. Aber das ist mein Problem, ich weiß schon. Du hast ja dein eigenes Leben.»
    «Entschuldige, dass man mich um halb sechs in der Früh geweckt und zu einem Tatort gerufen hat. Du hast natürlich recht: Das Opfer hätte ruhig ein bissel rücksichtsvoller sein und erst um sieben sterben können.» Polivka tastet nach dem Lichtschalter und hebt im Geist zu zählen an. Zwanzig, neunzehn, achtzehn … Weiter kommt er nicht, die Silhouette stoppt seinen Countdown.
    «Es kümmert sich halt jeder um die Toten, die ihm wichtig sind», sagt sie mit leidvoller Stimme.
    Polivka drückt auf den Schalter, Licht flammt auf. Da steht sie nun, die Frau, aus der er einst herausgekrochen ist.
    «Was willst du eigentlich von mir?» Ganz ruhig stellt er die Frage.
    «Gar nichts will ich von dir, was soll ich von dir wollen? Ich sage nur, was ich mir denke, du weißt, ich bin immer ehrlich.»
    «Gut, dann hätten wir das auch besprochen.» Er wendet sich nach rechts, zu seiner Zimmertür.
    «Ich bin halt furchtbar traurig, und ich habe ja sonst keinen Menschen, du bist ja der Einzige, mit dem ich reden kann.»
    Polivka hält inne. Nach bald einundfünfzig Jahren wirkt die alte Strategie noch immer. Er fühlt sich wie ein Spielzeugapparat, bei dem man nur die richtigen Knöpfe drücken muss, damit er schnurrt und klingelt oder sich im Kreis dreht. Und wenn jemand diese Tastatur beherrscht, dann dieses faltige, verhärmte Kind, das seine Mutter ist.
    «Ich weiß schon», sagt er, und: «Es ist nicht leicht für dich.»
    «Leicht? Was ist schon leicht? Aber dass du deinen Vater nie auf dem Friedhof besuchst, das belastet mich schon.»
    Zwanzig, neunzehn, achtzehn …, zählt Polivka.
    Wenn er seinen Vater nicht so abgöttisch geliebt hätte. Dass er nach sechsundzwanzig Jahren noch immer regelmäßig von ihm träumt und jedes Mal schluchzend erwacht (ganz einfach, weil er keinen Abschied nehmen, nicht erwachen will ), das ist nun einmal seine Art des Grabgesangs. Solang sein Vater ihn besucht, braucht er beileibe nicht hinaus auf den Zentralfriedhof zu tingeln, um einen Granitblock anzuglotzen.
    Siebzehn, sechzehn, fünfzehn …
    «Du, ich habe heute einen schweren Tag gehabt», sagt Polivka. «Wenn ich dir irgendwas getan hab …»
    «Gar nichts hast du mir getan, was sollst du mir getan haben? Du weißt, es geht mir nie um mich, das Wichtigste für mich ist immer, dass du glücklich bist.»
    «Das bin ich aber nicht. Ich bin total erschöpft und will nur meine Ruhe.»
    «Mein Gott, du Armer. Wenn du wüsstest, was ich mir von früh bis spät für Sorgen um dich mache. Glaubst du nicht, du kannst mit deinem Obersten darüber reden, dass er dich zum Innendienst versetzt?»
    «Ich hab’s dir schon so oft gesagt: Ich will nicht in den Innendienst.»
    «Ich könnte aber ruhiger schlafen, wenn du dich nicht ständig in Gefahr begibst.»
    «Wieso bitte Gefahr? Wie kommst du darauf, dass ich mich ständig in Gefahr begebe?»
    «Man macht sich halt seine Gedanken, wenn man immer mutterseelenallein herumsitzt. Du bist doch das Liebste, was ich habe, und du weißt, ich würde alles tun, um dir zu helfen.»
    «Danke, aber …»
    «Manchmal frage ich mich schon, womit ich das verdient hab, dass du immer so viel Arbeit hast. Ich bin ja nicht die Einzige, die Gerda hat das heute auch gesagt …»
    « Wer bitte?»
    Hundertachtzig, hundertneunundsiebzig …
    Gerda.
    Fünfundvierzig Jahre, schwarz gefärbter Bubikopf. Mehr sollte es über Gerda nicht zu sagen geben. Gibt es aber leider.
    Gerda Nolte, geschiedene Polivka, betreibt eine Kunstgalerie in der Innenstadt,

Weitere Kostenlose Bücher