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Polivka hat einen Traum (German Edition)

Polivka hat einen Traum (German Edition)

Titel: Polivka hat einen Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Ameise, schon holt sie aus und schleudert es mit aller Kraft in den Fond der déesse .
    Ein halb erstickter Schrei. Polivka wirbelt zur Seite, packt das Lenkrad und drückt es nach links. Die Kollision der Fahrzeuge ist kaum zu hören, sie ist nicht lauter als das Flattern des verschreckten Vogelschwarms, der von der Böschung auffliegt. Für Sekundenbruchteile verdunkelt sich der Himmel, so als hielte selbst das Licht den Atem an.
    Ein Augenblick der Stille.
    Dann das jähe Kreischen von Metall, als der Wagen die Leitplanke streift.
    Es riecht nach frisch gemähtem Gras, denkt Polivka.

    «Nicht deppert sein, Hammel. Nicht deppert sein … Hören Sie mir zu, wir haben übermorgen wieder Dienst, um acht Uhr im Büro, da können Sie nicht einfach … Nachher, Hammel, also übermorgen nach der Arbeit, lad ich Sie auf einen Grappa ein, auf einen Grappa und ein Bier, ganz ohne Zauberkasten oder irgendwelche blöden Fragen … Wissen Sie, wir haben uns eigentlich noch nie so richtig unterhalten, ich weiß gar nichts über Sie, ich weiß ja nicht einmal, ob Sie … Na, ob Sie eine Frau haben oder Kinder. Also abgemacht, Sie müssen mir das übermorgen Abend alles ganz genau erzählen. Und dann, statt uns in irgendeinen blöden Zug zu setzen, saufen wir uns einen ganz gepflegten Rausch an. Und wir trinken Brüderschaft. In Ordnung? Das wär ja sowieso schon lange an der Zeit gewesen. Servus, Hammel, Servus … Herrgott, stell dir einmal vor: Jetzt hocken wir seit gut fünf Jahren im selben Scheißbüro, und mir fällt nicht einmal dein Vorname ein …»
    Behutsam tastet Polivka mit seiner freien Hand nach Hammels Brieftasche. Er zieht sie ihm aus dem Jackett und schützt sie mit der Schulter vor dem Fahrtwind, während er sie aufklappt. Die transparente Schutzhülle des Führerscheins ist blutverschmiert; Polivka wischt sie an der Hose ab.
    «Ferdinand heißt du also. Find ich gut, Hammel. Gefällt mir. Also wenn wir dann per du sind, kannst du dir aussuchen, wie ich dich nennen soll. Entweder Ferdl oder Ferdinand. Von mir aus kann ich dich auch weiter Hammel nennen, so wie bisher. Mir ist alles recht, solang … Solang du jetzt nicht deppert bist. Du willst doch ständig nach Paris. Na eben. Und was glaubst du, wo wir gerade hinfahren? Siehst du. Eine Viertelstunde, und schon sind wir da. Wir flicken dich wieder zusammen, wirst schon sehen, und dann … Dann lassen wir dich von den schönsten französischen Krankenschwestern mit Champagner und Baguette und Coq au vin verhätscheln. Natürlich mit Blick auf den Eiffelturm … Verstehst du, nur noch eine Viertelstunde. Also mach jetzt keinen Blödsinn, sei um alles in der Welt nicht deppert … Bitte, Hammel … Stirb mir nicht …»
    Die Abenddämmerung bricht schon herein, die ersten Lichter streichen über den Asphalt. Beruhigend summt der Motor der déesse . Sophie Guillemain sitzt stumm am Steuer, unter ihren Bernsteinaugen glitzert es.

    Nachdem der Wagen ausgerollt war, haben Sophie und Polivka noch eine ganze Weile auf die Leitplanken gestarrt, als säßen sie im Autokino. Aber irgendwann hat sie den Motor abgestellt, die Tür geöffnet und ist ausgestiegen, um zur Brücke zurückzugehen. Polivka ist ihr gefolgt, mit einem kurzen Blick auf Hammel, der – Gesicht und Brust verdeckt vom Geigenkoffer – auf dem Rücksitz lag.
    «Sie können auftauchen, Kollege Hammel», hat er noch gesagt. «Das Monstrum hab ich abserviert.»
    Auf der anderen Seite der Brücke lag zertrümmert die Maschine des Insekts. Durch Polivkas Manöver von der Fahrbahn abgedrängt, hatte sie eine Bresche ins Buschwerk der Böschung gerissen und war gegen den Beton geprallt, so heftig offenbar, dass Teile der Verkleidung bis zum gegenüberliegenden Bankett geschleudert worden waren.
    Die Ameise jedoch war nicht zu sehen.
    Polivka ist hochgeklettert, bis er – oben auf dem Damm – den schwarzen, zerschundenen Helm entdeckt hat. Und darin die Lederhandschuhe, fein säuberlich gefaltet. Ein Lastwagen ist vorbeigedonnert.

    «Noch was, Hammel: Diese Scheißsau werd ich mir schnappen, das versprech ich dir, auch wenn der Schröck mich dafür vierteilt, hörst du? Oder wenn ich dafür meinen Abschied nehmen muss …»
    Zurück beim leicht verbeulten, aber fahrtüchtigen Citroën, hat Polivka bemerkt, dass Hammel noch genauso dalag wie zuvor. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen hat er ihm den Geigenkoffer vom Gesicht genommen.
    «Was die heutzutage alles reparieren können. Die Herren Doktoren werden

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