Polivka hat einen Traum (German Edition)
Ahnung», sagt Polivka.
«Ganz einfach: Weil das Wort für Wagen – la voiture – im Französischen weiblich ist. Und weil DS – sprich: la déesse – nichts anderes bedeutet als die Göttin .»
«Hübsch», nickt Polivka mit einem Seitenblick zu Sophie Guillemain, die sich gerade hinters Lenkrad setzt. «Ich meine, hübsche Geschichte aus seligen Zeiten, Hammel. Damals hat man Autos, Drogen, die Atomkraft und den Stierkampf noch vergöttern dürfen.»
«Und jetzt schauen Sie, Chef, was gleich passieren wird!» Hammel zappelt wie ein aufgeregtes Kleinkind, während Sophie Guillemain den Schlüssel in das Zündschloss steckt.
Schon springt der Motor an. Ein wenig Gas im Leerlauf, und, von Zauberhand bewegt, hebt sich zunächst das Heck, dann auch der Vorderteil des stromlinienförmigen Gefährts.
«Ein fliegender Teppich!», ruft Polivka.
«Hydropneumatik!», gibt Hammel zurück. «La déesse s’envole vers le ciel!»
«Die Göttin steigt zum Himmel auf», übersetzt lächelnd Sophie Guillemain.
Den Fahrtwind in den Haaren, so gleiten sie über die Landstraße. Hammel wie ein Buddha auf dem Rücksitz, auf dem Schoß den grauen Koffer mit der angeblichen Meistergeige, Polivka neben Sophie, den rechten Ellenbogen lässig über den Türrahmen gehängt. Die wahrhaft glücklichen Momente eines Lebens, denkt er, werden einem meist erst dann bewusst, wenn man auf sie zurückblickt, und vielleicht wird das hier einmal so einer gewesen sein. Wenn man es so betrachtet, könnte man ihn eigentlich schon jetzt genießen …
Reflexionen dieser Art wohnt immer ein blasphemischer Charakter inne, denn sie rühren an Wahrheiten, die zu begreifen (jedenfalls dem christlich sozialisierten Mitteleuropäer) streng verboten ist. Die Strafe folgt seit jeher auf dem Fuß. Vertreibung aus dem Garten Eden, eine Sintflut oder das jähe Erstarren zur Salzsäule: Man dreht sich nach dem Glück um – und erblickt das Unglück.
Dabei muss sich Polivka erst gar nicht umdrehen, denn der rechte Seitenspiegel der déesse ist so justiert, dass auch der Beifahrer nach hinten sehen kann.
Von Méru her nähert sich wütend und schwarz das Motorrad. Rasant wächst sein Umriss im Spiegel, auch Sophie Guillemain scheint es bereits bemerkt zu haben. Zwar verzieht sie keine Miene, aber die déesse beschleunigt, schaukelt über eine Bodenwelle und taucht schlingernd in ein dichtes Waldstück ein.
«Cocorico!», jauchzt Hammel und klatscht fröhlich in die Hände.
Links und rechts flitzen die Bäume vorüber, während das Insekt beständig näher kommt. Im Spiegel wirkt es so, als fahre es jetzt seitlich einen Stachel aus: Es ist das Stahlrohr, mit dem es vorhin die Verandatür des Hauses eingeschlagen hat.
«Verdammt!», brüllt Polivka. «Wer ist das?»
Sophie Guillemain gibt keine Antwort. Sie starrt auf die Straße, umklammert das Lenkrad und tritt entschlossen das Gaspedal durch.
Doch es hilft nichts: Binnen weniger Sekunden hat das Motorrad den Citroën erreicht. Es wechselt auf die Gegenspur und setzt zum Überholen an. Mit einem lauten, trockenen Geräusch knallt das Rohr auf die Karosserie und zertrümmert die linke Rückleuchte.
«Merde!», schreit Hammel auf, um hastig ans andere Ende der Rückbank zu fliehen. Dort kauert er sich in die Ecke, den Geigenkoffer fest an sich gepresst.
«Was willst du eigentlich, du Drecksau!» Polivka hat sich abgeschnallt und halb von seinem Sitz erhoben. Während er sich mit der rechten Hand am Rand der Windschutzscheibe festhält, schüttelt er martialisch die zur Faust geballte Linke. Etwa so, als wolle er mit einer Fliegenklatsche einem Düsenjäger drohen.
Die Ameise fährt jetzt auf gleicher Höhe. Langsam dreht sie ihren schwarzen Schädel zu Sophie Guillemain. Mit einem eleganten Schlenker klemmt sie sich das Rohr unter die Achsel und streckt – fordernd und gebieterisch – die Hand aus.
Endlich reagiert Sophie. Ohne den Blick von der Straße zu wenden, ruft sie Hammel auf dem Rücksitz zu: «Le violon! Donnez-lui le violon!»
Aber Hammel ist nicht in der Lage, sich zu rühren. Gelähmt vor Panik, klammert er sich an den grauen Koffer, hält ihn vor der Brust wie einen Schild.
Das Waldstück ist zu Ende. Zwischen Feldern braust der Wagen auf die Brücke der A16 zu, die sich – gesäumt von Mauerwerk und wucherndem Gestrüpp – über die Landstraße spannt.
«Die Geige!», ruft Sophie Guillemain noch einmal.
Doch es ist zu spät. Schon liegt das Stahlrohr wieder in der Hand der
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