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Polivka hat einen Traum (German Edition)

Polivka hat einen Traum (German Edition)

Titel: Polivka hat einen Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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sonst noch für Leichen im Keller verbirgt.
    Polivkas Überlegungen zu Madame Guillemains evidentesten Schwächen läuten die dritte Sekunde ein. Es ist die Zeit der strategischen Planung, der Antizipation und Koordination von Ablenkungsmanövern und Attacken.
    Die Frau dürfte auch schon hier angelangt sein. Kurz mustert sie Polivkas Hosen, dann kehrt ihr Blick – um einiges ruhiger – zu Hammel zurück.
    An dessen entgeisterter Miene hat sich freilich nichts verändert: Hammel ist in der ersten Sekunde hängen geblieben.
    So viel zur Vorbereitung des verbalen Schlagabtauschs, den Sophie Guillemain mit Anbruch von Sekunde Nummer vier eröffnet.
    «Quelle surprise, messieurs, désolé de vous déranger.»
    Aus den Augenwinkeln sieht Polivka, dass Hammel zu einer Entgegnung ansetzt; er gebietet ihm mit einem raschen Wink zu schweigen.
    «Sie wissen ja bereits, Madame», sagt er nun selbst, «dass ich Sie nicht verstehen kann. Allzu sehr bedauere ich das aber nicht, denn Ihre Sprache klingt für mich wie eine Mischung aus Strangulation und Kehlkopfkrebs.» Polivka schenkt Sophie Guillemain ein bezauberndes Lächeln.
    «Aber Chef!», bricht es aus dem entrüsteten Hammel hervor.
    «Contenance, Hammel.» Polivkas Stimme ist honigsüß.
    Sophie Guillemain zuckt nicht mit der Wimper. Stattdessen erwidert sie Polivkas Lächeln und meint ruhig: «Das Deutsche klingt selbst dann noch wie ein Presslufthammer, wenn man es beherrscht, Herr Kommissar.»
    Eine Zeitlang herrscht Schweigen. Sie messen einander mit freundlicher Feindseligkeit.
    «Wie sind Sie draufgekommen, dass ich mit dem Presslufthammer umgehen kann?», fragt Sophie nach einer Weile. «Wie sind Sie überhaupt auf meine Spur gekommen?»
    «Zeitungen und Internet. Eine Reihe vermeintlicher Unfälle in europäischen Zügen. Ein toter Geigenbauer aus Méru und seine trauernde Witwe. Sophie Guillemain, vereidigte Übersetzerin.»
    «Bravo, Herr Polivka. Lesen können Sie wenigstens.»
    «Lesen muss ich gar nicht können. Dafür hat man Mitarbeiter. Darf ich vorstellen: Gruppeninspektor Hammel.»
    «Enchanté, madame», flötet Hammel.
    «Ah, on parle français.»
    «Bien sûr, madame! La langue la plus belle du monde!»
    «Charmeur …»
    «Pardon», mischt Polivka sich ein. «Pardon! Vielleicht hätten die Herrschaften die Güte, mich einzubeziehen.»
    «Ich dachte, Sie lassen lieber andere für sich arbeiten», versetzt Sophie Guillemain. Und, an Hammel gewandt: «Sie haben wohl auch das Haus für ihn aufgebrochen?»
    «Aber nein, Madame! Das war keiner von uns.»
    «Was soll das heißen, keiner?» Ernst und wachsam stellt sie diese Frage.
    «Es war …»
    «Eine Ameise», schneidet Polivka Hammel das Wort ab. «Schwer motorisiert und knapp zwei Meter groß.»
    Ein Ruck geht durch Sophie Guillemain. Die Bernsteinaugen blitzen auf. «Wann war das?»
    «Vor etwa einer Viertelstunde. Aber jetzt, Madame, ist es an uns, Ihnen einige Fragen zu stellen.»
    «Lassen Sie sich nicht aufhalten, Herr Kommissar. Ich habe im Moment nur leider keine Zeit, sie zu beantworten.» Mit sanftem Griff schiebt sie Hammel zur Seite und öffnet die Kellertür. «Es war mir ein Vergnügen, meine Herren. Bitte grüßen Sie die schöne Wienerstadt von mir.» Schon wendet sie sich um und steigt zügig die Treppe hinab.
    Es dauert seine Zeit, bis Polivka die Sprache wiederfindet. «So nicht», stößt er mit heiserer Stimme hervor. «Ganz sicher nicht … Was ist im Keller unten, Hammel?»
    «Hauptsächlich die Geigenwerkstatt.»
    «Gut … Sie bleiben bis auf weiteres beim Fenster stehen. Wenn sich da draußen irgendwer dem Garten nähert, schlagen Sie sofort Alarm. Verstanden?»
    «Ja.»
    «Dann los», brummt Polivka mehr zu sich selbst und setzt sich in Bewegung.
    Am Fuß der Treppe stößt er auf einen verwinkelten, niedrigen Gang, flankiert von Stellagen und Borden. An der Decke eine Reihe billiger, mit Draht geschützter Lampen, deren matter Schimmer ihm den Weg zur Werkstatt weist: ein großes, quadratisches Zimmer, in dessen Zentrum ein Arbeitstisch steht. Trotz einer bunten Vielzahl an diversen Werkzeugen und Materialien wirkt alles wohlgeordnet – offensichtlich ist die Ameise nicht bis zum Keller vorgedrungen. Warmes Licht streicht über einen Himmel voller Geigen: Hölzerne Fragmente demontierter oder unfertiger Instrumente baumeln vom Plafond, und Polivka zieht automatisch den Kopf ein, sobald er den Raum betritt.
    An der Werkbank lehnt Sophie Guillemain und macht sich an einer

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