Polivka hat einen Traum (German Edition)
Krankenpflegerhose hinterließ, war ihm egal. Er würde sich morgen ohnehin frisch einkleiden müssen.
Um drei Uhr nachmittags brachen die beiden nach Belgien auf. Sophie hatte gemeint, sie wären gut beraten, sich an einem Sonntagabend nicht zu spät um ein Quartier in Brüssel zu bemühen.
Knapp vier Stunden Fahrt im Sonnenschein. Ja, Polivka ist frohgemut. Er steckt das Handy ein, lehnt sich zurück und spürt mit wohligem Schaudern, wie Sophies lavendelfarbener Slip an seinen Eiern reibt.
13
Am Montagmorgen stehen sie vor der Gegensprechanlage eines Hauses in der Avenue des Nerviens, kaum zehn Minuten vom Europaparlament entfernt. Eine der besseren Brüsseler Adressen unmittelbar am Parc du Cinquantenaire, dem sogenannten Jubelpark, der nicht nur die große Moschee und den von König Leopold II. errichteten Triumphbogen beherbergt, sondern auch zu den beliebtesten Anlaufstellen der hiesigen Jogger zählt.
«Da», sagt Polivka und deutet auf ein unscheinbares Messingschildchen mit der Aufschrift SSS . «Zum Glück haben Sie die Rechnungsadresse noch gehabt, sonst hätten wir es nie gefunden.»
«Noble Zurückhaltung eben», erwidert Sophie. «Dafür sind Sicherheitsfirmen ja bekannt.» Sie zieht nun einen Taschenspiegel und ein Schminktäschchen hervor und beginnt, sich Mund und Augenlider anzumalen. «Und? Wie sieht das aus?» Sie spitzt die Lippen.
«Bunt», sagt Polivka.
«Bunt ist perfekt.»
Auf der anderen Seite des Parks steht eines dieser praktischen Hotels für Vielflieger und andere gewerbliche Kosmopoliten, für eine Spezies also, die – ob nun in Hongkong, Moskau oder Washington – die Minibar stets an der gleichen Stelle und den Sexkanal stets auf dem gleichen Sendeplatz zu finden wünscht.
«Wollen wir es hier probieren?», hat Sophie gestern Abend gefragt, nachdem sie eine halbe Stunde lang vergeblich nach einer bescheideneren Unterkunft gesucht hatten. Und Polivka hat eingewilligt, weil er damit spekulierte, dass ein Businesshotel im Zentrum Brüssels ohnehin weitgehend ausgebucht sein würde. Weitgehend : Das Wort erweckte seine kühnsten Phantasien.
Doch der Portier hat seine Hoffnungen gleich zerstört, indem er nicht erklärte, dass nur noch ein allerletztes Doppelzimmer frei sei. Also haben sich die beiden für zweihundertachtundvierzig Burenwürste in zwei Einzelzimmer eingemietet.
Kurz darauf trieb sie der Hunger nach Matongé, in das kongolesische Viertel hinter dem Europaparlament. Sie aßen wieder Huhn, diesmal mit Erdnusspaste und zerstampften Maniokwurzeln. Dass sie dabei auf den Kolonialismus und die Rolle Belgiens in Afrika zu sprechen kamen, lag nahe. Polivka erwies sich als historisch wenig sattelfest, sodass Sophie ihm einen kleinen Abriss der Verbrechen gab, die das belgische Königreich im Kongo verübt hatte. Bis weit ins 20. Jahrhundert hatte es die Ausbeutung von Kautschuk, Diamanten, Elfenbein und Kupfer mit so beispielloser Grausamkeit betrieben, dass die Hälfte der Bevölkerung hingeschlachtet wurde oder an Entkräftung und Misshandlungen starb. Zehn Millionen Kongolesen, von den Belgiern enteignet und zur Zwangsarbeit genötigt, fanden so den Tod, während König Leopold II., die von ihm betrauten Konzessionsfirmen und – ab 1908 – auch der belgische Staat enorme Gewinne schrieben.
«Wenn die Männer ihre Quote nicht erfüllten und zu wenig Kautschuk sammelten», sagte Sophie, «dann wurden ihre Frauen und Kinder hingerichtet. Sehr beliebt war auch das Hände-Abhacken; man tat es, um die Munitionszuteilungen zu kontrollieren: Für jede abgefeuerte Kugel mussten die Soldaten ihren Vorgesetzten die rechte Hand des Erschossenen präsentieren. Wer also einen Fehlschuss abgab, der verstümmelte ganz einfach einen Lebenden, um beim Appell die korrekte Zahl an Händen vorweisen zu können, und am leichtesten ging das natürlich wieder bei den Frauen und Kindern. Es gibt ungezählte Fotos von einhändigen Kongolesinnen und kleinen Kongolesen.»
Polivka war der Appetit vergangen. Er schob seinen erst halb geleerten Teller weg, nicht ohne stattdessen zum Weinglas zu greifen. «Warum erzählen Sie mir das?»
«Entschuldigen Sie, ich wollte nicht … Ich dachte nur an morgen früh. An unseren Besuch bei einem Unternehmen, das die Europäer finanzieren, damit sie alle besser kontrollierbar werden.»
«Und wie kommen Sie dann auf den Kongo?»
«Wissen Sie, wozu sich Leopold II. wortwörtlich verpflichtet hat, als er den Kongo 1885 in Besitz nahm? Dazu, die
Weitere Kostenlose Bücher