Polivka hat einen Traum (German Edition)
Erhaltung der eingeborenen Bevölkerung und die Verbesserung ihrer sittlichen und materiellen Lebenslage zu überwachen, an der Unterdrückung der Sklaverei und des Negerhandels mitzuwirken und religiöse, wissenschaftliche und wohltätige Einrichtungen und Unternehmungen zum Besten der Eingeborenen zu schützen .»
Polivka schwieg. Er starrte auf sein Glas, hob es dann an den Mund und leerte es.
«Was ich damit sagen will», fuhr Sophie fort, «ist nur, dass in der Politik Beteuerungen einen Scheißdreck wert sind. Und dass zu viel Macht, in wenigen Händen konzentriert, auf Dauer immer nur zur Katastrophe führen kann. Je geringer die Anzahl der Hebel ist, die Gier und Habsucht in Bewegung setzen müssen, um Millionen Menschen auszubeuten, desto rascher wird das auch geschehen.»
«Wir haben doch aber freie Wahlen, ich meine … Wir sind doch hier allesamt Demokratien», warf Polivka ein.
«Und mit wem gehen die von Ihnen frei gewählten Volksvertreter abendessen? Mit Ihnen oder mit diversen Bankern, Managern und Wirtschaftslobbyisten?»
«Ich sitze sowieso lieber mit Ihnen hier», entfuhr es Polivka. Vielleicht lag es am Schein der Kerze auf dem Tisch, aber es kam ihm so vor, als ob Sophie errötete.
«Darauf wollen wir anstoßen», sagte sie.
Nachdem sie noch das eine oder andere Glas getrunken und die eine oder andere Zigarette auf dem Trottoir geraucht hatten, gingen sie zum Hotel zurück.
«Wir haben morgen einen schweren Tag, Herr Kommissar», sagte Sophie vor ihrer Zimmertür. Es war nicht allzu schwer, die Botschaft zwischen diesen Zeilen zu lesen. Und so reichte Polivka, dem eigentlich danach zumute war, die Glut endlich zum Feuer anzufachen, ihr die Hand. Beizeiten, dachte er, beizeiten – aber trotzdem möglichst bald. Man durfte diese ungelöste Spannung nicht erst zur Gewohnheit werden lassen.
«Gute Nacht, Herr Polivka.»
«Gute Nacht, Madame Guillemain.» Er hob die Hand und strich ihr kurz über die Wange.
«Gute Nacht.»
Sophie will gerade den Klingelknopf drücken, als Polivka sie zurückhält.
«Warten Sie. Wie wollen wir eigentlich vorgehen? Es wird wenig Sinn haben, mit der Tür ins Haus zu fallen, ganz abgesehen davon, dass ich immer noch in diesen … diesen Kleidern stecke.»
«Das sollen Sie auch. Ich habe mir da etwas überlegt, das klappen könnte. Spielen Sie einfach mit und lassen Sie mich machen.»
Polivka runzelt die Stirn. «Sie haben leicht reden. Ich versteh ja nicht einmal ein Wort.»
«Sie werden schon verstehen. Nur keine Sorge. Ach, und noch etwas: Ich möchte mir Ihr Handy leihen; nachher kriegen Sie es wieder.»
Drei Minuten später treten sie ins Vorzimmer der Brüsseler Dependance von Smart Security Solutions . Hinter einem Pult die obligate sportlich-dezente Empfangsdame (gepflegtes Äußeres, kultivierte Umgangsformen, Durchsetzungsvermögen, Teamgeist, Engagement, soziale Kompetenz und Lernbereitschaft).
«Bonjour madame, bonjour monsieur, comment puis-je vous aider?»
«We … äh … Pardon, äh … non Français», stottert Sophie mit bedauerndem Lächeln.
«No problem, madam. How can I help you?»
«Äh, we … It is … No speak good English … Tudunk talán beszélni magyarul?»
«I’m sorry, madam … Spreekt u Nederlands, misschien?»
Sophie zuckt mit den Achseln. Dann aber – ganz plötzlich – hellt sich ihre Miene auf; ein Strahlen der Erleichterung zieht sich über ihr Gesicht. «Chef», sagt Sophie. «We want Chef.»
«I’m sorry, madam, but I am obliged to ask you whether you have an appointment.»
«Chef», nickt Sophie eifrig. «Yes, yes. We speak Chef.»
«Mister Gallagher is very busy. I need to know your concerns before …»
«We speak Chef. Now!»
Die Frau hinter dem Pult verstummt. Sie mustert Sophie mit einer Mischung aus persönlicher Herablassung und professioneller Indolenz: Von diesem primitiven ungarischen Weibsstück wird sie sich nicht aus der Ruhe bringen lassen – nicht mit ihrer Qualifikation, nicht als alleinstehende Mutter, nicht für vierzehnhundert Euro monatlich. Sie dreht sich wortlos um und verschwindet hinter einer Polstertür.
Sophie lächelt Polivka aufmunternd zu, doch er blickt zum Plafond und presst die Lippen aufeinander. Es sind nicht nur die Überwachungskameras an der Decke, die ihn daran hindern, den Mund aufzumachen. Er spürt und weiß, dass er ganz nah an einem Abgrund namens Lachkrampf steht.
John Gallagher ist schlank und sportlich, trotz seiner gut sechzig Jahre. Grau melierte
Weitere Kostenlose Bücher