Polivka hat einen Traum (German Edition)
gewesen.
«Schätzen Sie sich glücklich, dass Sie eine solche Mutter haben, die nicht nur ihren Sohn auf Händen trägt, sondern bis nach Paris fährt, um dort seinen kranken Amtskollegen zu betreuen. Da frag ich mich dann schon nach der statistischen Verteilung von genetischen Disparitäten, wenn sich aus so einer entzückenden Mama ein solcher Bub herausmendelt.»
Kaum hat der Oberst diese ungeheuerliche Frechheit ausgesprochen, wandelt sich mit einem Mal sein Mienenspiel: Gerade noch geringschätzig und boshaft, schlägt sein Ausdruck jählings in Bestürzung um, gerade so, als würde er dem Sensenmann ins Auge blicken.
Und das tut er in gewisser Weise auch, der Oberst Schröck.
Seiner Gardinenpredigt überdrüssig, hat Sophie die Speicherkarte in den Computer geschoben und das Video gestartet. Auf dem Bildschirm ist Hervé Guillemain im Zugwaggon zu sehen, wie er gerade einem Unbekannten das Genick bricht.
«Mon dieu!», ertönt Jacques’ Stimme aus den Monitorboxen.
«Mein Gott!», ächzt Schröck.
Dann lässt er sich auf einen Sessel sinken.
19
Schröcks kurzfristige Paralyse gibt Sophie und Polivka die Möglichkeit, nun auch einmal zu Wort zu kommen. Und so schildern sie dem Alten (unter Auslassung diverser dramaturgisch unwichtiger Fußnoten wie Diebstahl, Suchtmittelbesitz und Sachbeschädigung), was ihnen in den letzten Tagen widerfahren ist.
Der Oberst lauscht und sitzt und nickt und starrt ins Leere; seine gelben Tränensäcke flattern wie die Flügel einer Pekingente auf der Schlachtbank. Schröck wirkt resigniert, ja zunehmend verzweifelt, aber weniger, weil ihn Gewissensbisse gegenüber dem so voreilig gerügten Polivka quälen, als vielmehr, weil er sich ganz persönlich vor einem genierlichen Dilemma sieht: zerrissen zwischen menschlicher Integrität und diplomatischem Kalkül, zwischen innerem Schweinehund und öffentlichem Amtsschimmel (ein Zwiespalt übrigens, der meistens in Berufen auftritt, die mit Po beginnen, seien es nun Pontifizes, Politiker oder eben Polizisten).
Es wäre aber nicht der Oberst, wenn er diesen seelischen Konflikt nicht lösen könnte, dazu ist er schon zu lang auf seinem Posten. Kaum haben Sophie und Polivka ihren Bericht beendet, schließt er seine welken Lider und seufzt herzzerreißend. «Polivka, Polivka», murmelt er traurig, «da haben Sie mir aber eine veritable Scheiße eingebrockt. Was schlagen Sie jetzt vor?»
«Ich schlage vor, Herr Oberst, dass wir diese Mörder dingfest machen. Das ist schließlich unsere Arbeit.»
«Sicher, Polivka, da haben Sie nicht ganz unrecht. Leider ist nur Ihre Arbeit eine völlig andere als meine: Sie sind gleichsam die Patrone, ich bin quasi die Pistole. Aber ich kann auch nicht einfach schießen, wie und wann ich will. Die Hand, in der ich liege, ist der Herr Polizeipräsident, und das Gehirn, das wiederum die Hand lenkt, ist der Herr Innenminister.»
«Soll das heißen, Sie wollen gar nichts tun?», lässt sich Sophie vernehmen. «Sie wollen einfach kuschen?»
«Aber nein, mein gnädiges Fräulein. Was ich deutlich machen will, ist nur, dass ich in dieser Sache machtlos bin – im Gegensatz zu Ihrem Herrn Verlobten …»
«Weder bin ich Ihr gnädiges Fräulein, Herr Oberst, noch ist der Herr Bezirksinspektor mein Verlobter.»
«Schade.»
«Was ist schade?»
«Zweiteres, gnädige Frau. Dem Polivka tät hin und wieder eine starke Hand nicht schaden.»
Wieder so ein Übergriff, so eine Frechheit. Polivka wird langsam klar, warum sich Schröck von seiner Mutter so begeistert zeigt.
«Sie müssen es ja wissen», gibt Sophie dem Obersten zurück. «Sie haben ja Ihren Präsidenten.»
Fabelhaft gekontert, findet Polivka. Er spürt, wie sein Verdauungsfeuer Funken schlägt, die wie ein Schwarm beschwipster Glühwürmchen durch seinen Solarplexus tanzen. Diese Bernsteinaugen. Und die Blitze, die sie Schröck entgegenschleudern …
«Gnädige Frau, wir wollen uns doch nicht streiten», lenkt der Oberst ein. «Es geht nur darum, dass es die Ermittlungen gefährden würde, wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt übermäßig exponiere. Deshalb schlage ich vor, dass … diese kleine Unterredung niemals stattgefunden hat. Sie tun ganz einfach, was Sie tun zu müssen glauben, und ich weiß von nichts.»
«Das heißt, wir haben keine offizielle Rückendeckung?»
«Ja, das könnte man so sagen. Aber dafür haben Sie – und das bleibt natürlich unter uns – meinen privaten Segen, jedenfalls solang Sie sich bei Ihren
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