Polivka hat einen Traum (German Edition)
zuzuordnen.»
Neunzehn Uhr dreißig. Das Gebäude der Kriminaldirektion in der Berggasse ist zwar noch hell erleuchtet, doch die Gänge liegen ausgestorben. Polivka steigt mit Sophie bis in den zweiten Stock und zieht sie dann den Flur entlang, in dem mit einem Mal erregte Männerstimmen laut werden.
«Geh bitte, Alter, haben sie dir ins Hirn geschissen?»
«Was? Da war ja gar nichts!»
«Mitten in die Eier! Der Franzos is eine Sau!»
«Na und? Der depperte Gerrard hat eh schon Kinder …»
«Jetzt pfeif schon, du Itakeroasch!»
«Ich sag’s euch, den hat der Franzos geschmiert!»
Durch einen Türspalt spähen Sophie und Polivka in die Amtsstube, aus der die Stimmen dringen. Das schummrige Licht einer Schreibtischlampe, das Flimmern eines kleinen Bildschirms, und davor die versammelte Truppe der den Abenddienst verrichtenden Kollegen: Kripo-Beamte in Aufruhr. Die Europameisterschaft scheint keinen kaltzulassen – keinen außer den Bezirksinspektor Polivka.
«So ein Mist», flüstert nun auch Sophie, «heut spielt ja Frankreich gegen England, und ich hab’s versäumt!»
Sie schleichen weiter, bis zu Polivkas Büro, das dunkel und verlassen am Ende des Ganges liegt. Noch dunkler, noch verlassener als Polivkas Schreibtisch wirkt jener von Hammel; er scheint regelrecht geschrumpft zu sein: ein kleiner blinder Fleck in der hintersten Ecke des Raums.
Polivka schiebt Hammels Stuhl zur Seite, bückt sich, stößt sich an der Tischplatte den Kopf, ertastet den Computer und drückt auf den Einschaltknopf. Mit einem jämmerlichen Ächzen nimmt die klapprige Maschine ihre Arbeit auf.
«Da tut sich nichts.» Polivka starrt auf den schwarzen Monitor.
«Du musst ihn extra einschalten.» Sophie betätigt eine Taste an der Seite des Computerbildschirms. «Voilà: Es werde Licht», sagt sie pathetisch.
Und es wird auch Licht – nicht nur am schimmernden Geviert des Monitors, nein, gleich im ganzen Zimmer. Frostig flackern am Plafond die Neonröhren auf.
«Schau einer an», schnarrt Oberst Schröck nicht minder frostig. «Kriegt zehn Tage Urlaub und taucht gleich am ersten im Büro auf. Übrigens: Enchanté, madame, je suis le patron de votre fiancé. Jetzt sagen S’ einmal, Polivka, wie ist das Wetter in Paris? Oder sollte ich doch eher nach den meteorologischen Bedingungen in Brüssel fragen?»
Die Zeit der Märchen ist vorbei. Es hat jetzt keinen Sinn mehr, weitere Ausflüchte zu suchen, schon alleine deshalb, weil sich der Herr Oberst offenbar am letzten Stand befindet, was die Odyssee des Herrn Bezirksinspektors anbelangt: Er weiß zumindest, dass Sophie und Polivka geradewegs aus Brüssel kommen. Fragt sich nur, woher? Was weiß der Alte noch? Man muss der Sache auf den Grund gehen, sei es auch um den prekären Preis der Wahrheit. Also: Karten auf den Tisch, es hilft nichts. Außerdem: Was hat sich Polivka schon groß zuschulden kommen lassen?
1. Hausfriedensbruch (insofern zu vernachlässigen, als das Delikt nicht in Österreich stattgefunden hat. Mildernd kommt ihm außerdem zugute, dass der Hausbesitzer tot ist und dass dessen Witwe ihn im Anschluss an die Straftat wiederholt geküsst hat. Der Strafrahmen in Frankreich beträgt bis zu einem Jahr Freiheitsentzug).
2. Suchtmittelbesitz (insofern zu vernachlässigen, als das Delikt nicht in Österreich stattgefunden hat. Im Gegensatz zu Belgien, wo der Besitz geringer Mengen Cannabis nicht mehr geahndet wird, weil es sich eben doch nur um ein Rausch-, aber kein Suchtgift handelt, kann man dafür allerdings in Frankreich bis zu zehn Jahre lang eingesperrt werden).
3. Diebstahl (insofern zu vernachlässigen, als das Delikt nicht in Österreich stattgefunden hat. Die Strafe für die arglistige Entwendung – so heißt es im französischen Strafgesetzbuch – der Pflegertracht aus dem Spital beträgt bei den Franzosen bis zu drei Jahre Gefängnis).
4. Zechprellerei (insofern zu vernachlässigen, als das Delikt nicht in Österreich stattgefunden hat. Mildernd ist zudem der Umstand, dass Polivka in Bezug auf die beiden im Delirium Tremens konsumierten Cappuccini durchaus zahlungswillig war, bevor er von den unbekannten Heckenschützen aus der Impasse de la Fidelité vertrieben wurde. Gleichwohl stehen in Belgien bis zu drei Monate Haft auf Zechprellerei).
5. Sachbeschädigung (hat leider über österreichischem Staatsgebiet stattgefunden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zerstörung von Tilman Stranzers Handy ohne Zweifel vorsätzlich erfolgt ist. In
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