Polivka hat einen Traum (German Edition)
ist zwar keine Metropole, aber trotzdem eine Stadt, die ihrem Status insofern gerecht wird, als sie um drei viertel neun noch hinlänglich verschlafen wirkt. Auch auf dem Postamt herrscht Beschaulichkeit: Hinter dem Schalter trinkt ein hagerer Mann Kaffee, die beiden Telefonzellen sind frei.
Sophie, die sich von Doktor Singh ein wenig Geld geliehen hat, kramt eine Handvoll Münzen aus der Hosentasche, dann nimmt sie den Hörer ab. Entschlossen, wenn auch etwas zittrig, tippt sie Oppitz’ Nummer in das Tastenfeld des Apparats. Dicht neben ihr steht Polivka auf Zehenspitzen und versucht, von außen etwas durch den Hörer zu erlauschen.
Freizeichen. Dann eine freundliche, sonore Männerstimme: «Ja, hallo?»
«Fürst Oppitz-Marigny?» Sophie spuckt diesen Namen aus wie etwas Giftiges, Verfaultes.
«Je nachdem, von wo Sie anrufen», ertönt die Stimme aus dem Hörer. «So ein Fürstentitel ist ja nicht mehr überall gestattet. Mit wem hab ich das Vergnügen?»
«Guillemain. Sophie Guillemain.»
Das Schweigen zieht sich lange hin, so lange, dass Sophie zur Sicherheit noch einen Euro in den Münzschlitz schiebt.
«Verzeihung, aber … sollten wir einander kennen?» Oppitz klingt verunsichert, er liegt jetzt auf der Lauer, und die Lackschicht seiner Freundlichkeit weist erste kleine Schrammen auf.
«Kennen? Nein. Nur voneinander wissen. Ich verstehe, dass es schwierig ist, sich all die Leute namentlich zu merken, die man so im Lauf der Zeit ermorden lässt, aber …»
«Frau Guillemain», fällt Oppitz ihr ins Wort, «ich kann Ihnen nur raten, sich ein bisserl vorzusehen: Verleumdung wird in Österreich mit bis zu einem Jahr bestraft.»
Er schaltet schnell, denkt Polivka.
«Aber ich bin nicht tot», beendet Sophie ihren Satz. «Genauso wenig wie mein Partner.»
Mein Partner … Polivka muss unwillkürlich lächeln.
«Hören Sie, meine Gnädigste, ich habe keine Ahnung …»
«Erstens», zischt Sophie, «bin ich nicht Ihre Gnädigste. Und zweitens schlage ich vor, dass wir die Spielchen lassen.»
«Wenn ich spiele, Frau Guillemain, dann an der Börse, aber sicher nicht am Telefon.»
Der Fürst ist vorsichtig, denkt Polivka. Er wagt es nicht, zum Punkt zu kommen, weil er die Methoden fürchtet, derer er sich selbst bedient: Vor angezapften Telefonen ist nicht einmal er gefeit.
«Jetzt sagen Sie einmal», fährt Oppitz fort, «ist Ihr Herr Partner vielleicht auch zugegen? Weil dann tät ich’s vorziehen, das Gespräch mit ihm zu führen. Nichts für ungut, Frau Guillemain, aber mit Ihnen komm ich, glaube ich, auf keinen grünen Zweig.»
«Baise-toi, connard!», sagt Sophie zum Abschied und gibt den Hörer an Polivka weiter.
«Polivka hier.»
«Grüß Gott, Herr Kommissar.»
«Bezirksinspektor. Momentan beurlaubt, wie Sie ja wahrscheinlich wissen werden.»
«Ferien hat man eh so selten. Also schauen Sie, dass Sie ihn genießen, Ihren Urlaub, spannen Sie ein bisserl aus. Das tät auch der Frau Guillemain nicht schaden, vielleicht wär sie dann nicht gar so bissig. Können Sie Französisch, Herr Inspektor? Wissen Sie, was sie mir gerade mitgeteilt hat?»
«Leider nein, Herr Oppitz. Aber …»
«Dass ich eine weibliche Körperöffnung bin und mich gewissermaßen selbst begatten soll.»
«Dann schauen Sie, dass Sie es genießen.» Polivka schenkt Sophie einen verliebten Seitenblick. «Ich will Sie ohnehin nicht lange aufhalten.»
«In Ordnung, machen wir es kurz. Was wollen Sie?»
«Eine halbe Million», sagt Polivka. «Für meinen Urlaub. Und Ihr Ehrenwort, dass Madame Guillemain und ich fortan nicht mehr behelligt werden.»
«Jedes meiner Worte ist ein Ehrenwort, Herr Inspektor. Fragt sich nur, was Sie mir zu verkaufen haben?»
«Ihre Freiheit, Herr Oppitz. Ihre Freiheit in Form einer Speicherkarte, die Sie lebenslänglich hinter …»
«Schweigen Sie!», fällt Oppitz Polivka ins Wort. «Wie stellen Sie sich das vor? Wie soll ich so viel Geld …»
«In einem Ihrer legendären schwarzen Lederkoffer», unterbricht nun Polivka seinerseits den Fürsten. «Heute Abend gegen sechs, rechtzeitig zu den Hauptnachrichten, geben wir die Karte an das Fernsehen weiter – falls wir vorher nicht mit Ihnen ins Geschäft gekommen sind. Es wäre also nur in Ihrem Interesse, uns um, sagen wir, sechzehn Uhr zu treffen.»
«Wo?»
«In Poysdorf, ganz in Ihrer Nähe. Auf dem Kirchberg oben.»
«Gut … Ich werde schauen, was sich machen lässt.»
«Und noch etwas, Herr Oppitz: keine faulen Tricks. Soll heißen,
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