Polivka hat einen Traum (German Edition)
Wein und Immobilienpreise: Manche Trauben hängen nun einmal zu hoch für einen kleinen Kriminalbeamten, dessen rustikale Zukunftsträume schon seit jeher an der Umrechnung von Landhäusern in Burenwürste scheitern. Also lieber nicht mehr davon phantasieren, das Leben in der Großstadt hinter sich zu lassen, lieber dieses ländliche Idyll als das bezeichnen, was es ist: ein Trick, ein hübsches Gaukelwerk, eine Kulisse.
Auch Sophie passt gut ins Bühnenbild. Sie wirkt zwar immer noch ein wenig angeschlagen, aber im Vergleich zu gestern Abend regelrecht vergnügt. Als Polivka an ihrer Seite Platz nimmt, schenkt sie ihm ein kurzes und verschmitztes Lächeln.
«Besser?», fragt er.
«Besser, ja. Nur dass ich ziemlich hart gelegen bin.»
«Ich habe die Matratze eher weich gefunden.»
«Aber geh, wer redet denn von der Matratze …»
Einzig Doktor Singh sieht heute angeschlagen aus. Wie sich herausstellt, ist er noch um zwei Uhr nachts zu einer Rundfahrt mit dem Kastenwagen aufgebrochen, die ihn über Hollabrunn und Tulln zurück nach Wien geführt hat. Die drei Handys hat er mitgenommen, um sie auf der Reise an verschiedenen Stellen zu deponieren. Eines auf dem Parkplatz einer Raststätte bei Hollabrunn, hinter der Ladeplane eines Trucks, der offenbar nach Tschechien unterwegs war. Eines an der Schiffsanlegestelle Tulln, im Tauwerk eines Lastkahns, der auf seine Weiterfahrt nach Budapest und Belgrad wartete. Das dritte schließlich auf dem Wiener Westbahnhof, in einem der Waggons des Frühzugs Richtung Zürich. Wenn John Gallagher begreifen würde, dass sein Mördertrupp verschollen war, und wenn er also seine Brüsseler Bespitzelungsmaschinerie anwerfen würde, um die drei zu orten, wären die Telefone schon in alle Himmelsrichtungen verstreut. Der Doktor wusste zwar, dass sich die Standorte – dank Vorratsdatenspeicherung – auch rückwirkend ermitteln ließen, aber dazu brauchte Gallagher vor allem Zeit, und diese Zeit durfte man ihm nicht lassen. Auf dem Rückweg nach Herrnbaumgarten hat Singh den Kastenwagen wieder auf dem Acker an der Brünner Straße abgestellt und ist in seinen gelben Tata umgestiegen. Gegen fünf Uhr früh erst war er wieder auf dem Hof, im Osten ließ sich schon die Morgendämmerung erahnen. Auf dem Sofa in der Gästewohnung hat er dann noch eine Stunde Schlaf gefunden, der listige Krieger, der arme, zerknitterte König der Nacht.
Frühstück im Grünen also.
Mag der Himmel heute noch so klar sein, sitzt man doch im Schatten einer dunklen Wolkenwand. Sophie und Polivka im schwarzen Zentrum dieses Schattens, Gutmaisch an der diesigen Peripherie und Singh dazwischen, irgendwo im düsteren Niemandsland. Sie alle ignorieren die Wolke möglichst lange, weil sie diese gute, ruhige Morgenstunde nicht verderben wollen.
Es ist Sophie, die sich dem Unvermeidlichen als Erste stellt. «Wir können ihm nichts anhaben», sagt sie zu Polivka, doch so, dass auch die anderen sie hören können.
«Wem?», fragt Polivka.
«Dem Fürsten. Gestern Nacht, als ich … also, bevor es aus war, habe ich Hervé nach ihm gefragt.» Sophie hält inne. Greift zu ihren Zigaretten auf dem Tisch und steckt sich eine an. «Hervé ist Oppitz nur ein einziges Mal begegnet, oben im Schloss Stadlwald. Das war im letzten Frühling, da hat Oppitz eine Art Empfang gegeben, offiziell als Dankeschön an ausgewählte Mitarbeiter von Smart Security Solutions , deren Aktien ihm satte Gewinne beschert hatten, inoffiziell als Auftakt für ein zukunftsweisendes Geheimprogramm . Der Fürst hat aber nichts konkretisiert, er hat nur gelächelt und Hände geschüttelt, Sekt und Wildpasteten auffahren lassen und das Weitere den Herren Gallagher und Stranzer übertragen, die natürlich auch anwesend waren. Vom Stranzer ist dann aber nicht viel mehr gekommen als ein schiefes Grinsen und das übliche Politikergewäsch. Er hat sich bald entschuldigt und den Raum verlassen, also ist die Sache letztendlich an Gallagher hängen geblieben. Seine Instruktionen waren klar und einfach: Für ein unverschämtes Honorar sollten die Auserwählten eine Reihe von Spezialaktionen im Gebiet der Europäischen Union durchführen. Exakte Anweisungen würden ihnen anonym per Postfach zugestellt; die Dokumente wären nach der Durchsicht unverzüglich zu vernichten.»
«Oppitz hat sich also – rein juristisch – abgesichert», murmelt Polivka. «Er hat die beiden anderen vorgeschoben. Und der Stranzer hat sich dann ganz staatsmännisch am Gallagher
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