Polivka hat einen Traum (German Edition)
einmal all die Angst, den Hass, die Abscheu in sich auflodern. Dann greift er nach dem Handy.
«Ja?»
«Was ist mit euch, verdammt?», tönt Gallaghers Stimme aus dem Hörer. «Warum meldest du dich nicht?»
«Alles okay», sagt Polivka. «Problem gelöst.»
«Wo habt ihr sie entsorgt?»
«Wie vorgesehen.»
«Auf dem Acker?»
«Ja.»
«Und diese Speicherkarte?»
«Positiv. Der Bulle hatte sie in seiner Hosentasche.»
«Bingo», seufzt Gallagher erleichtert auf. «Wie hat sich Lavoix gehalten?»
«Gut.»
«Ich will ihn sprechen.»
«Negativ. Der ist gerade kacken.»
«Und wo seid ihr jetzt?»
«Am Weg, bei so ’ner Raststation.»
«In Ordnung. Also dann bis morgen; ich erwarte euch um neun Uhr dreißig im Büro. Seht zu, dass ihr den Abflug nicht verschlaft.»
«Geht klar.»
Mit einer zittrigen und doch entschlossenen Bewegung schaltet Polivka das Telefon ab, legt es auf den Tisch und greift geradewegs zu seinem Schnapsglas. Höllisch scharf und himmlisch klar läuft ihm der Weinbrand durch die Kehle.
Rechts von ihm gibt Ottfried Gutmaisch, nach wie vor in tiefem Schlummer, ein verträumtes Schmatzgeräusch von sich. Die Augen fest geschlossen, zieht er seine Arme enger um den Körper, legt den Kopf zur Seite, kuschelt sich ans Eichenholz der alten Kelter. Wie ein Wal zum Atmen an die Wasseroberfläche steigt, so scheint er jetzt in seichtere Schlafgefilde aufzutauchen.
«Könntets ihr ja auch so Zollbeamte sein», beendet er murmelnd den Satz, den er vor zwanzig Minuten begonnen hat.
24
Die Schwalben fliegen hoch an diesem Morgen. Ihre fernen Rufe schwirren durch die Luft, der Himmel, hellblau über dem vom Tau noch feuchten Garten, kündigt einen Tag zum Heldenzeugen an.
Trotz seiner kurzen Nacht erstaunlich ausgeruht, tritt Polivka aus den Arkaden. Nicht, dass die Erlebnisse des Vortags keine Spuren hinterlassen hätten: Seine Glieder schmerzen, und sein Oberkiefer fühlt sich an, als würde ihm der gestern ausgeschlagene Schneidezahn gerade erst gezogen. In der Beule auf dem Hinterkopf pocht ungestüm das Blut, und dennoch: In den inneren Regionen seines Schädels herrscht ein unverhofftes Wohlbefinden, ungeachtet der fünf Achtel und sechs Schnäpse, die ihn gegen zwei Uhr nachts ins Bett begleitet haben.
Polivka hat wundersamerweise keinen Kater.
Eine halbe Stunde nach dem Telefongespräch mit Gallagher hat Doktor Singh Sophie und ihn quer durch den Hof zu einer unscheinbaren Tür geführt. Dahinter lag eine spartanisch ausstaffierte Wohnung, in der Gutmaisch, wie der Doktor kurz erläuterte, seine zuweilen nicht mehr fahrtüchtigen Gäste übernachten ließ, sofern es sich bei diesen Gästen auch um Freunde handelte. Die Fahruntüchtigkeit sowohl des Herrn Bezirksinspektor als auch Madame Guillemains sei evident, so fügte Singh hinzu, und auch die Freundschaft mache sich bereits bemerkbar: Gutmaisch gebe seinen legendären abendlichen Schlafattacken nur in Gegenwart von Menschen nach, die sein Vertrauen genossen.
Küche, Klo und Bad, ein Wohnzimmer, ein Schlafraum, und darin – ein Bett.
Sophie und Polivka verweigerten sich dem Diktat der Körperpflege. Bis auf ihre Unterwäsche ausgezogen, schlüpften sie stattdessen gleich unter die Decke. Polivka umfing Sophie von hinten, tauchte sein Gesicht in ihre Haare. Zwei Minuten lang war alles gut. Dann schlief er ein.
«Ja, schau, der Herr Inspektor! Haben wohl geruht?»
Erst jetzt bemerkt er Ottfried Gutmaisch, der gemeinsam mit Sophie und Singh an einem Tisch im Garten sitzt und einen riesenhaften Brotlaib durch die Luft schwenkt. «Frühstück wäre angerichtet!»
Brot und Semmeln, Käse, Eier und Kaffee, so frisch wie die noch kühle Luft, das satte Grün des Grases und die ersten Sonnenstrahlen, die am Dachfirst lecken. Eine Szenerie, die Polivka, mag er sich auch dagegen sträuben, insgeheim in Schwärmerei geraten lässt. Natürlich ist das alles nur ein Trick, so denkt er beinah ärgerlich, nichts anderes als die bauernschlaue Inszenierung einer Posse namens Landleben . Er weiß ja, dass die ihres harten Alltags überdrüssige Provinzbevölkerung den Gästen aus der Stadt eine Idylle vorgaukelt, die langfristig nicht halten kann, was sie verspricht. Auf diese Weise steigert man nicht nur die Zahl der Nächtigungen und der abgesetzten Waren, sondern auch die Immobilienpreise und das Selbstbewusstsein. Landleben : welch eine Farce aus Ruhe, Schlichtheit und Natur, aus Weite, frischer Luft und selbst gemachtem Wein.
Apropos
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