Polivka hat einen Traum (German Edition)
«Allein der Anblick ist ja hochgradig verkehrsgefährdend!»
Polivka ist sprachlos ob der Unverschämtheit der Beamten. Aber ehe er die Worte wiederfindet, haben sich die zwei so weit genähert, dass er die Gesichter unter den Baretts erkennen kann.
«Da staunen Sie», lacht Doktor Singh und bleckt die weißen Zähne.
«Leihe deine Brennanlage her», sagt Gutmaisch, «und du wirst dafür zwei Uniformen kriegen. Könnte fast vom Gandhi sein. Was sagen Sie zu unserem Spritzenwagen?», wendet er sich an Sophie. «Ein Prachtstück, oder?»
«Ja. Wie aus dem Bilderbuch.»
«Wir haben uns zwar im letzten Frühling einen neuen angeschafft, aber der ist uns leider», Gutmaisch grinst verschämt, «bei einer Übung abgebrannt. Die Wege des Herrn sind unergründlich.»
Einer der tschechischen Schlachtenbummler, ein älterer und wohlbeleibter Mann mit einem stattlichen Schnurrbart, tritt auf Gutmaisch zu: «Wie geht’s jetzt weiter, Friedl?»
«Na, bei mir drin. Lagebesprechung.»
Zehn Minuten später haben sich gut achtzig Menschen im sonnendurchfluteten Hof des Presshauses versammelt. Es herrscht Volksfestatmosphäre: Man trinkt Wein und isst belegte Brote, scherzt und lacht und schwenkt die rot-weiß-blauen Fahnen, die sich auf den zweiten Blick als notdürftig bemalte und an Besenstielen befestigte Leintücher entpuppen. Nur ein Grüppchen junger Frauen hat sich in strahlendes Weiß und helles Blau gekleidet. «Griechenland!», skandieren sie «Hilfe für die Griechen!»
Während sich Sophie und Polivka in Poysdorf aufgehalten haben, sind die Herren Singh und Gutmaisch also alles andere als untätig gewesen: Sie haben die Herrnbaumgartner aus ihren Weingärten geholt, aus Kellern und aus Küchen, ja sogar aus der Gemeindeschule: Allgemeiner Jubel brandet auf, als eine von zwei resoluten Damen angeführte Kinderschar in Gutmaischs Hof marschiert. Ein Teil der Kinder hat ein längliches Objekt geschultert, eine gut drei Meter lange Kunststoffrolle.
«Was ist das ?», fragt Polivka, der – leicht verwirrt und völlig überwältigt – neben Gutmaisch steht.
«Eine der wertvollsten Errungenschaften unserer Gemeinde, Endergebnis jahrelanger Forschungsarbeit und unzähliger Versuchsreihen», schmunzelt Gutmaisch. «Ein transportabler, ausrollbarer Zebrastreifen. Die Kleinen haben ihn im Verkehrsunterricht gebastelt.»
Es dauert eine Weile, bis die Menge sich so weit beruhigt hat, dass der Hausherr die Zusammenkunft eröffnen kann. Er bläst ein paar Mal in die Trillerpfeife, die er in der Uniformjacke gefunden hat, und holt zu einer etwas umständlichen, aber launigen Begrüßung aus, bevor er Doktor Singh an seine Seite bittet. «Freunde unserer Freunde sind auch unsere Freunde, und wer freundlich zu den Freunden unserer Freunde ist, zu dem werden auch die Freundesfreunde dieser Freunde freundlich sein. Na ja, egal, man muss das nicht verstehen, was zählt, ist, dass wir heute unseren Spaß haben werden. Unser Freund und Helfer, Illuminationsexperte und Herrnbaumgartner Gedankenaußenstellenoberoffizial Rakesh wird euch den Einsatzplan erklären.»
Hat Gutmaisch die Versammlung dazu gebracht, die Ohren aufzusperren, so ist es Doktor Singh, der diese Ohren nun mit Inhalt füllt. Er präsentiert sich als begabter Redner und Stratege, teilt die Gruppen ihren Einsatzorten zu, beschreibt die ihnen zugedachten Aufgaben, lässt in den Köpfen seiner Zuhörer ein virtuelles Raum-Zeit-Diagramm der projektierten Abläufe entstehen, geht auf eventuelle Pannen ein und antwortet geduldig auf diverse Zwischenfragen.
Es sind vorwiegend drei Schauplätze, an denen sich die Inszenierung abspielen soll, ein großes Dorftheater, das nichts anderes zum Ziel hat, als den Fürsten in die Arme von Sophie und Polivka zu treiben:
1. die Straße, die von Stadlwald nach Poysdorf führt. Hier wird sich – einen Steinwurf nach der Abzweigung zum Schloss – die Feuerwehr postieren, um eine Übung abzuhalten. Auf der Fahrbahn sollen Heuballen aufgeschichtet und, sobald sich Omars Auto nähert, angezündet werden («Schauts, dass ihr den Spritzenwagen nicht so nah ans Feuer stellts wie letztes Mal», mischt sich an dieser Stelle Gutmaisch in Singhs Vortrag ein). So wird dem fürstlichen Chauffeur nichts anderes übrig bleiben, als zu wenden und – von Osten her – den Umweg durch Herrnbaumgarten zu nehmen.
2. die Dorfstraße. Kurz vor dem Presshaus werden Gutmaisch, die zwei Lehrerinnen und die Kinder auf den Fürsten warten. Sie werden
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