Polivka hat einen Traum (German Edition)
geschossen wurde. Ein zünftiger Gorz wäre mir zwar lieber, aber wenn sich ein Exote schon als Dorfgendarm verkleidet, sollte doch zumindest seine Adjustierung stimmen.»
«Ja … Wahrscheinlich haben Sie recht», meint Polivka zweifelnd.
Keine zwei Minuten später nähert sich vom Ortskern her ein anthrazitfarbener Wagen, pflügt mit affenartiger Geschwindigkeit die Dorfstraße entlang. Mercedes GLK-Klasse, ein Auto wie aus Krieg der Sterne , wie die Atemmaske, die der ewig röchelnde Darth Vader trägt, kurz: ein grotesker Wasserkopf auf Rädern.
Die dunkle Seite der Macht, denkt Polivka und spürt zugleich die Flammen des Verdauungsfeuers bis in seine Speiseröhre züngeln. Während er mit weichen Knien auf Sophie zusteuert, die inzwischen im Verbindungsstück zur Schindergasse Aufstellung genommen hat, zieht er das Telefon heraus und aktiviert die Sprachaufnahme.
«Alles klar. Wie steht’s bei dir?»
Ein Nicken, blass und stumm. Sophie fixiert den Wagen, der jetzt nur noch ein paar hundert Meter weit entfernt ist.
«Gut», sagt Polivka, und wie von selbst findet mit einem Mal das Lied aus Jacques Guillemains Spieluhr den Weg auf seine Lippen. «Allons enfants de la patrie …», hebt er leise zu singen an.
Sophie horcht auf. Ohne den Blick von der Straße zu wenden, fällt sie in die Melodie mit ein.
Auf Doktor Singhs Geheiß sind die Schlachtenbummler mittlerweile in ein ohrenbetäubendes Gegröle ausgebrochen. «Do toho! Do toho!», skandieren sie und schwenken ihre Fahnen. Nur von Zeit zu Zeit ist auch ein dünnes «Hellas! Hellas!» zu vernehmen.
Rasch verkleinert sich der Abstand zwischen ihnen und dem Auto, das sein Tempo schließlich drosselt, um knapp vor dem Menschenauflauf an der Abzweigung zu stoppen. Singh tritt an die Fahrerseite, salutiert und beugt sich zum Chauffeur hinunter. Polivka kann nicht verstehen, was der Doktor sagt; er sieht ihn nur die Achseln zucken, mehrmals nicken und nach einer Weile auf die Einfahrt deuten: eine höfliche, korrekte, aber auch gebieterische Geste.
Das Fahrzeug rollt ein Stück zurück, biegt im Schritttempo nach rechts und kommt kurz nach der Gabelung zum Stehen. Im selben Augenblick setzt sich die bunte Schar der Schlachtenbummler in Bewegung, drängt sich johlend in die Zufahrt, um den Rückweg zu blockieren und den Mercedes vor der Bundesstraße abzuschirmen. Dort braust kurz darauf das zweite fürstliche Gefährt vorbei, ein silbergrauer BMW X5, der ebenfalls aus Star Wars stammen könnte: R2 D2, dieser einfältige, unförmige Roboter, der fieberhaft nach seinem Herrchen sucht. Kaum hat er die Kreuzung passiert, beginnt sich das Getümmel aufzulösen: Einzeln und in kleinen Grüppchen streben die Herrnbaumgartner zurück in Richtung Presshaus.
«Los», sagt Polivka.
Noch ehe der Chauffeur den Motor wieder starten kann, treten Sophie und er auf den Mercedes zu.
Es ist Punkt vier Uhr nachmittags.
Der Wagen steht im Sonnenlicht wie ein trojanisches Pferd: friedlich und zahm. Dass hinter seinen schwarz getönten Scheiben feindselige Männer lauern, lässt sich nur erahnen. Wahrscheinlich sind Oppitz und Stranzer gerade dabei, sich einen Notfallplan zu überlegen, nachdem der Herr Europaabgeordnete Sophie und Polivka (beziehungsweise Elsje Swanepoel und Herrn von Trappenberg) gesehen und erkannt hat. Erstens haben sie sicher keine halbe Million dabei, weil sie die beiden Störenfriede ja auf andere Art zum Schweigen bringen wollten, zweitens fühlen sie sich schutzlos, weil ihr silbergrauer Kampfstern Richtung Poysdorf unterwegs ist. Drittens werden sie sich hüten, ihn per Telefon zurückzukommandieren, weil dieser aufdringliche Polizist noch immer nicht das Feld geräumt hat. Wie ein pakistanischer Asylbewerber steht der Kerl an der Kreuzung, dunkelhäutig, lästig, nutzlos, aber – und das ist die eigentliche Krux – bewaffnet und uniformiert. Mit kleinen hirnlosen Beamten lässt es sich nun einmal nicht so leicht verhandeln wie mit deren Vorgesetzten.
Eine schiere Ewigkeit verharren Sophie und Polivka vor dem Mercedes, Aug in Auge mit der dunklen Windschutzscheibe. Plötzlich aber öffnen sich die hinteren Türen, und zwei Köpfe tauchen aus dem Fond des Wagens auf. Rechts der von Tilman Stranzer, den gereizten Ausdruck einer Bulldogge auf dem Gesicht, und links – mit lautem Ächzen – jener von Fürst Olaf Markus Oppitz-Marigny: ein eiförmiger roter Schädel, dessen Spitze ein verwaistes Fleckchen grauer Haare ziert. Die Augen Omars
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