Polivka hat einen Traum (German Edition)
blitzen wachsam durch randlose Brillengläser, unter den wulstigen, von dicken Pausbacken flankierten Lippen hängt ein kleines, keckes Doppelkinn. Alles in allem macht der Fürst den Eindruck eines heiteren, genussfreudigen Schelms, der (abgesehen von seinen Leberwerten, seiner gesteigerten Transpiration und seinen Schuppen) keinerlei Probleme hat.
«Sind Sie dieser … Bezirksinspektor?»
«Ja, Herr Oppitz.»
«Aber hatten wir nicht Poysdorf ausgemacht?»
«Ja, schon. Madame Guillemain und ich sind aber auch nicht durch die Absperrung gekommen.»
«Küss die Hand, gnädige Frau», sagt Oppitz automatisch. Ein Reflex, konditioniert in den Salons der besseren Gesellschaft.
«Gnädig kommt von Gnade», gibt Sophie zurück, «und Gnade dürfte zwischen uns kein Thema sein.»
«Ganz wie Sie meinen.» Oppitz schürzt die Mundwinkel. «Dann also keine Höflichkeiten, lassen Sie uns das Geschäftliche erledigen. Haben Sie die Speicherkarte?», fragt er Polivka, so wie man einen Kellner um die Speisekarte bittet.
«Haben Sie den Koffer?»
Oppitz bleibt die Antwort schuldig. Unentschlossen mustert er sein Gegenüber. Es ist Stranzer, der statt ihm das Wort ergreift.
«Von einem ausrangierten Schnüffler müssen wir uns das nicht bieten lassen», bellt er heiser.
«Doch», sagt Polivka. «Das müssen Sie. Im Augenblick bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig.»
Mit dem Synchronismus zweier Wasserballetteusen drehen sich Stranzer und der Fürst nach Doktor Singh um, der – kaum zehn Schritte entfernt – die Knöpfe seiner Uniform poliert. Als er die Blicke auf sich spürt, setzt er ein Lächeln auf und meint: «Die Straße wäre jetzt wieder frei, Sie können gerne weiterfahren.»
«Danke.» Stranzer fletscht die Zähne. «Sagen Sie, Herr Inspektor, sollten Sie nicht bei den Demonstranten sein?»
«Sie meinen, bei den Tschechen?» Singh deutet in Richtung Presshaus. «Nein, das sind nur ein paar Fußballfans, die sind ganz harmlos. Außerdem bin ich für den Verkehr abkommandiert.»
«Weil hier so viel Verkehr ist!»
«Tja, wenn man es vorher wüsste …», sagt der Doktor ungerührt und wendet sich dann wieder seinen Knöpfen zu.
Inzwischen ist der Fürst zu Polivka getreten, sichtlich enerviert von dieser unliebsamen Pattsituation.
«Wollen wir ein bisserl spazieren gehen, Herr Bezirksinspektor? Dabei lässt sich’s besser plaudern.»
«Gut», sagt Polivka.
Sie gehen los, und Stranzer und Sophie schicken sich an, ihnen zu folgen.
«Nein.» Fürst Omar stoppt und dreht sich um. «Zwei Wandervögel sind genug. Die gnädige Frau kann dem Herrn Abgeordneten inzwischen hier Gesellschaft leisten.»
Polivka sieht fragend zu Sophie und erntet ein zwar zögerliches, aber zustimmendes Nicken. Tilman Stranzer wirkt dagegen wie ein geprügelter Hund. Gesenkten Kopfes kriecht er wieder auf die Rückbank des Mercedes und schließt still die Wagentür.
Die Amseln haben zu singen aufgehört. Da, wo die späte Sonne durch die Bäume dringt, erstrahlen die Lösswände in einem warmen, satten Rot. Die beiden Männer gehen langsam durch die Schlucht; außer dem gleichförmigen Knirschen ihrer Schritte ist kein Laut zu hören.
«Nichts für ungut, Herr Bezirksinspektor», hebt der Fürst nach einer Weile an, «aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es sich mit eingeschnappten Frauen nicht diskutieren lässt. Ich hab ja selber so eine daheim.»
«Im Ernst? Sie haben den Bruder Ihrer Gattin auch als Killer engagiert?»
«Bei meiner ist’s die Eifersucht», sagt Oppitz ungerührt. «Sie riecht Parfüm, wo keines ist, und wenn sie irgendwo auf meinem G’wand ein blondes Haar von meinen Bracken findet, glaubt sie gleich, ich war im Puff.»
«Mein Beileid.»
«Nicht, dass ich nicht manchmal … Was man halt so macht, obwohl man seinem Eheweib durchaus verbunden ist. Und trotzdem, denken Sie an meine Worte: Wenn die erste Liebe zwischen Ihnen und Madame Guillemain einmal verflogen ist …»
«Was soll das heißen, erste Liebe?» Polivkas erboste Stimme hallt gespenstisch von den Wänden wider. «Woher wissen Sie, dass wir … dass wir …»
Statt einer Antwort zieht der Fürst ein großes schwarzes Smartphone aus der Jackentasche. «Da, schauen S’ her.» Er streicht über den Bildschirm, und ein Mosaik aus kleinen Fotos leuchtet auf. «Zum Beispiel das da», lächelt Oppitz und tippt eines der Bilder an, «vergangenen Samstag.»
Eine graue Fahrbahn, und daneben eine Ortstafel: Méru. Im Hintergrund ein grüner
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